Micha Busch ist Lehrer, Fortbildner und Autor. Zuletzt veröffentlichte er „33 Tipps für den digitalen Schulalltag“. Als „Koordinator für digitale Medien“ an der Stadtteilschule am Heidberg in Hamburg ist er unter anderem für die Qualifizierung des Kollegiums im Bereich Digitale Medien verantwortlich. Im Gespräch gibt er konkrete Einblicke, wie die Schule zum Lernort für die ganze Schulgemeinschaft werden kann und warum an diesem Wandel kein Weg vorbeiführt.
Micha Busch, wer konnte Ihnen zuletzt etwas Neues beibringen?
Das kann ich leicht beantworten. Ich bin an einer Schule tätig und Schulen sind die Lernorte schlechthin in unserer Gesellschaft. Daher habe ich gerade eben erst wieder was gelernt. Ich hatte heute Unterricht mit meinem Abiturkurs in Englisch. Wir haben uns dem Thema „Types of Love in Shakespeare's Plays“ gewidmet, das heißt wir haben uns verschiedene Arten von Liebe angeschaut. Im Gespräch mit den Schüler:innen habe ich wieder neue Blickwinkel und neue Perspektiven zu dem Thema mitgenommen.
Sie sind an Ihrer Schule unter anderem für die Qualifizierung im Bereich Digitale Medien im Unterricht und in der Schule zuständig. Woher kam bei Ihnen der Ansporn eine interne Fortbildungsstrategie zu entwickeln?
Wir haben vor etwa neun Jahren festgestellt, dass wir als Schule in den speziellen Bereichen „Innovation“, „Technologie“, „Wie wird eigentlich Lernen organisiert?“ und „Wie organisieren wir Lehrende eigentlich unseren Arbeitsalltag“, ähnlich funktionieren, wie die Schulgenerationen vor uns. Da hatte sich seither gar nicht so viel verändert. Das war der Auslöser: um uns herum verändert sich alles - nur nicht in der Schule. Darüber bin ich dann zunächst mal mit der Schulleitung ins Gespräch gegangen. Dabei ist uns ziemlich schnell klar geworden, dass wir uns in einem grundlegenden Wandel befinden, den man als Schule nicht wegignorieren kann. Somit haben wir erstmal eine Notwendigkeit festgestellt.
Im nächsten Schritt haben wir einen ersten Aufschlag für ein internes Fortbildungskonzept gemacht. Damit bin ich dann an unser Kollegium herangetreten und habe das Anliegen vorgestellt. Ich habe mir ein Stimmungsbild vom Kollegium eingeholt, ob sie bereit sind, daran in Zukunft weiterzuarbeiten. Die Rückmeldung war so positiv, dass das der Startpunkt eines strukturierten Wissenstransfers war. Seitdem hat sich eine eigene Dynamik entwickelt. Es gibt viele interessierte Kolleg:innen bei uns, die gerne neue Dinge lernen.
Damit haben Sie schon die beiden wichtigsten Gelingensbedingungen für die Umsetzung von Veränderungsprozessen in Schule benannt: Zum einen braucht es die Einbindung der Schulleitung und zum anderen haben Sie für den weiteren Weg von Anfang an das Kollegium einbezogen, indem sie den Bedarf sowie die Bereitschaft ermittelt und für alle sichtbar gemacht haben. Was waren die nächsten konkreten Schritte?
Wir haben ein berufsbegleitendes Konzept entwickelt. Das bestand aus regelmäßigen Treffen über mehrere Monate nach dem Unterricht. Die erste Gruppe bestand damals aus ungefähr 20 Leuten. Wir haben uns aus ganz verschiedenen Perspektiven diesem großen Themenfeld der sogenannten Digitalen Bildung angenähert. Damit haben wir einen Raum geschaffen, darüber ins Gespräch zu kommen. Das ist ein Hauptproblem, was wir an Schulen in Deutschland haben. In Ermangelung der Zeiträume, die dazu eigentlich benötigt werden, kommen wir gar nicht in diesen kritisch konstruktiven Austausch. Das führt im schlimmsten Fall dazu, dass Neuerungen und Innovationen, die auch auf das Bildungssystem einwirken, abgelehnt werden. Daher müssen wir uns Zeiträume schaffen, wo wir in Ruhe und mit einer gewissen Strukturiertheit über solche Dinge ins Gespräch kommen können. Denn sonst kann es passieren, dass sich Menschen dem komplett entziehen und das ist auch keine Option - insbesondere nicht bei so großen Phänomenen, wie aktuell beispielsweise KI-Tools, die wirklich Einfluss auf unsere tägliche Arbeit haben.
Was macht die schulinternen Fortbildungsangebote gegenüber externen Angeboten so besonders?
Als ich begonnen habe, mich mit diesem Themenfeld zu beschäftigen, haben mich externe Impulse sehr inspiriert und vorangebracht. Bei bundesweiten Konferenzen, Barcamps und virtuellen Veranstaltungen konnte ich mal über den Tellerrand gucken. Aber schulinterne Fortbildungen bringen eindeutige Vorteile mit sich: Bei Präsenzveranstaltungen entfallen die Wege – eine deutliche Zeitersparnis. Die Anschlussfähigkeit des erworbenen Wissens ist höher, da wir mit dem Equipment und räumlichen Ausstattungen arbeiten, die es auch im Arbeitsalltag gibt. Reale Hürden und spezifische Einschränkungen können somit direkt thematisiert werden. Ein weiterer Vorteil ist, dass sich die Teilnehmenden der Fortbildung bereits kennen und daher auch im Anschluss noch weiter zu ihren Erfahrungen austauschen können. Im Idealfall sind Fortbildungen auch so gestrickt, dass sie aus mehreren Teilen bestehen und praxisnahe Reflexion über die Erprobungsprozesse ermöglichen. Auf diese Weise findet konstantes Lernen mit den Kolleg:innen statt. Nicht zuletzt ist das Thema Wissenstransfer bei schulinternen Fortbildungen natürlich auch leichter zu realisieren. Externe Veranstaltungen können für die Einzelperson zwar sehr bereichernd sein, aber die Organisation als Ganze - also in dem Fall Schule als Lernende Organisation, profitiert davon nicht so sehr, solange das Wissen nicht strukturiert geteilt wird. Demnach schließen sich interne und externe Veranstaltungen nicht aus, beide Formate können die Kolleg:innen voranbringen.
Wie gelingt die Einbindung des gesamten Kollegiums? Wann ist ein solches Angebot attraktiv?
Wenn die Kolleginnen und Kollegen selbst eine Notwendigkeit erkennen, das heißt wenn ein gewisser Handlungsdruck vorhanden ist. Dann wird sowas gerne angenommen. Aber ein Kollegium an einer Schule ist immer eine heterogene Gruppe. Wir haben Leute, die sich vieles selbst beibringen. Dann gibt es Leute, die sind interessiert, aber vielleicht ein bisschen zurückhaltend. Da sind manchmal auch bestimmte Ängste oder Sorgen mit diesem ganzen Themenfeld verbunden und die nehmen es dann sehr dankbar an, wenn wir Angebote machen. Und es wird vermutlich auch immer Kolleg:innen geben, die sich dem entziehen oder verweigern. An diesem oftmals kleinen Teil sollte man sich aus meiner Sicht nicht verausgaben. Man tut, glaube ich, gut daran, sich auf den veränderungsbereiten Großteil des Kollegiums zu konzentrieren, der sich grundsätzlich auf den Weg machen möchte.
Alles steht und fällt mit einem geeigneten Fortbildungsformat. Bei Ihnen hat sich eine Modulreihe bewährt. Gibt es auch Formate, die an Ihrer Schule nicht funktioniert haben?
Wir als Medienteam haben tatsächlich viele Dinge ausprobiert und vieles davon ist Bestandteil unseres Fortbildungsangebots geworden. Anfangs haben wir auch ein kurzes Fortbildungsformat ausprobiert, auf das ich über den Hashtag #twitterlehrerzimmer der Social Media-Plattform „Twitter“ aufmerksam geworden bin. Wir haben es „Digitale Mittagspause“ genannt. Die Resonanz auf dieses niedrigschwellige Angebot war leider sehr gering. Da haben wir in unserem Medienteam Ursachenforschung betrieben. Die Rückmeldungen haben ergeben, dass die Mittagspause von einigen als regenerierende Mittagspause genutzt werden wollte, andere hatten in diesem Zeitfenster bereits Termine bzw. Verpflichtungen. Daher haben wir dieses Wissensformat gecancelt. Jetzt bieten wir beispielsweise immer eine Einstiegsveranstaltung am Anfang des Schuljahres an. Im Laufe des Schuljahres gibt es dann Grundlagenfortbildungen und Vertiefungsangebote. Ich mache zum Beispiel direkt nach den Ferien eine Fortbildung zum Thema „ToDos organisieren mit dem iPad“.
Daran zeigt sich: Jede Schule sollte ihr eigenes passgenaues Format finden. Idealerweise koordiniert ein Medienteam das Angebot. Wie gelingt es Ihnen, das Wissen im Kollegium sichtbar zu machen und im Sinne einer „Kultur des gemeinsamen Lernens“ die Wissensschätze zu heben?
Das ist ein wichtiger Punkt. Wenn ich beispielsweise Schulleitungen berate, dann sage ich ihnen: „Ihr größter Schatz ist Ihr Kollegium.“ Damit meine ich, dass die Kolleg:innen Kompetenzen und Fähigkeiten haben, von denen man manchmal gar nichts weiß. Wir kommen aus einer Kultur des Einzelkämpfertums, auch wenn ich diesen Begriff nicht mag. Jeder macht sein eigenes Ding hinter verschlossener Tür. Im Zuge des Wandels, von dem ich anfangs sprach, bewegen wir uns hin zu einer Kultur der Zusammenarbeit, des Teilens und auch des Wissenstransfers.
Um Schätze im Bereich digitale Medien im Unterricht zu heben, haben wir zum Beispiel eine ganz banale Sache gemacht: Wir haben eine Umfrage mit einem Zugangslink zu einer Art „Wissensübersicht“ an das Kollegium verschickt. Auf die Wissensträger:innen sind wir dann konkret mit der Frage zugegangen: „Hättest du Lust, auch mal einen Workshop für das eigene Kollegium anzubieten?“ Das erbauliche ist, das wird angenommen. Menschen fühlen sich dann auch gesehen in ihren Fähigkeiten und in dem, was sie sich vielleicht selbst beigebracht oder auf einer externen Fortbildung gelernt haben. Sie freuen sich darüber, wenn sie das Wissen in kollegialer Runde als Expert:in weitergeben können.
Aus meiner Sicht ist es nicht nur wichtig, das Bewusstsein dafür zu haben, dass es verschiedenste Fähigkeiten im Kollegium gibt. Vielmehr sollten wir gut überlegen, wie man dieses Wissen für die Schulgemeinschaft nutzbar machen kann. Dabei geht es nicht nur um die Frage: „Was können die Kolleginnen und Kollegen?“, sondern auch zu gucken: „Was können die Lernenden?“ Und die können erstaunlich viel. Man hat oft gar nicht so den Blick dafür, weil man immer darauf fixiert ist, was man selbst vermitteln möchte. Das meinte ich auch im Eingangsstatement: Ich lerne von meinen Schüler:innen. Und wenn die Lernenden ein Problem für die Lehrkraft lösen können, dann macht das ja auch was mit den Schüler:innen. Das führt eben auch zu diesem viel umworbenen Lernen auf Augenhöhe. Wenn man als Lernbegleiter:in die Verantwortung übergibt und guckt: „Was kannst du mit deinen Fähigkeiten beisteuern und beitragen?“, dann schafft das auch ganz viel auf der Beziehungsebene und realisiert letztendlich Selbstwirksamkeit.
Wie ist es möglich, dieses Wissen in der Schulgemeinschaft auch nachhaltig zu sichern?
Eine Sache, die wir gerade konkret für das nächste Schuljahr planen, ist eine Onboarding-Broschüre. Diese soll für die Kolleg:innen sein, die neu in die Schule kommen. Aber natürlich ist sie auch für alle anderen Interessierten zugänglich. Wir haben beispielsweise mit dem digitalen Klassenbuch, dem Notenverwaltungsprogramm sowie unserem Lernmanagementsystem viele Plattformen mit diversen Zugängen. Dieses Starterkit wird aus Texten und Verlinkungen zu Videos bestehen. Mit dieser Übersicht wollen wir Hürden verringern und die neuen Kolleg:innen können sich erstmal selbst alles anschauen und ausprobieren.
Andere Möglichkeiten sind eine gemeinsame Dateiverwaltung oder auch ein schuleigenes Wiki. Dort kann man häufig gestellte Fragen und Probleme notieren und erhält dann die entsprechenden Antworten, die für alle sichtbar sind.
Damit wären die strukturellen Rahmenbedingungen für schulinterner Wissenstransfer geschaffen. Was braucht es aus Ihrer Sicht noch, damit das Wissen in alle Richtungen fließt?
Das Beste, was man sich eigentlich wünschen kann, sind Kolleg:innen, die grundsätzlich aufgeschlossen und neugierig sind und dazu beitragen Schulen als Lernende Organisationen zu verstehen. Lehrpersonen sind auch Lernende und sollten immer Lernende bleiben. Wenn dieses Selbstverständnis vorhanden ist – das ist großartig. So nehmen wir Wandel und Veränderung nicht als etwas wahr, das über uns einbricht und uns in unseren Grundannahmen erschüttert, sondern eher als etwas, was wir gestalten wollen und können.