Kristin Horn - Netzwerkmoderation Digitales Netzwerk I
Kristin Horn begleitet in bildung.digital ein Digitales Schulentwicklungsnetzwerk. Im Interview erzählt sie, wie es ihr dabei gelingt „den Ball im gleichen Flow hin und her zu spielen“.
Zum Thema Schulentwicklung kam Kristin Horn über den Weg der außerschulischen Bildung. Nachdem sie in der medienpädagogischen Ausbildung von Schulvertreter:innen und Schulpat:innen tätig war, wirkte sie später in verschiedenen Projekten bei der Entwicklung von Unterrichtsmaterialien zu Globalem Lernen mit. Insbesondere die Themen Menschenrechte und Klimawandel prägten ihre Arbeit sowohl mit und an Schulen als auch mit dem Landesinstitut für Schule und Medien Berlin-Brandenburg und der Berliner Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Familie. Daneben begleitet sie seit vielen Jahren Transformations- und Beteiligungsprozesse im zivilgesellschaftlichen Bereich.
Zu Beginn: Was ist dein Lieblings-Warmup?
Alles, was die reale Welt mit dem digitalen Treffen verbindet. Beispielsweise die Übung Obstkorb in der digitalen Version: Alle machen ihre Kameras aus. Eine Person sagt zum Beispiel: „Alle die barfuß sind machen ihre Kamera an“. Danach machen alle wieder die Kameras aus und die Runde beginnt von vorne.
Zum Einstieg gefallen mir auch diese beiden Methoden:
- Alle malen ein Bild von ihrer Aussicht aus dem Fenster.
- Die Teilnehmer:innen holen einen Gegenstand, der sie gerade viel begleitet oder einfach nur rot ist.
Die Idee ist, sich einander wieder etwas näher zu fühlen, Verbindendes und Menschliches aufzuzeigen, sich Verspieltheit zu erlauben. Alles Dinge, die gerade häufig zu kurz kommen. Die aber wichtig sind, gerade in Teams und Netzwerken.
Gibt es am Programmansatz von bildung.digital etwas, das dir besonders gut gefällt?
Ich mag den Peer-Ansatz. Ich bin ja ohnehin eine große Anhängerin von crowdbasierten Lösungen, also Wissen zu teilen und Erfahrungen nutzbar zu machen. Gerade im vergangenen Jahr wurden dazu überall sehr viele Erfahrungen gemacht. Ich sehe bildung.digital auch als einen Raum, in dem die Lehrer:innen darüber reflektieren und miteinander in den Austausch gehen können. Sehr viel Wissen und Expertise sind eben schon da, und es hilft enorm, sich da mal einen externen Blick drauf zu holen - good practice zu teilen.
Was ist deine Lieblingsmethode in der Arbeit mit Schulentwicklungsnetzwerken?
Das schließt tatsächlich an der guten Praxis an. Also mit Methoden zu arbeiten, die das Crowdsourcing von Wissen und good practice unterstützen und strukturieren. Dabei geht es vor allem um den themenzentrierten Austausch. Entsprechend arbeiten wir bisher viel mit Austauschformaten, von Speed-Dating bis World-Cafés.
Ein großes Thema dabei ist die richtig Fragestellung zu finden, also Fragen, die die Teilnehmer:innen in ihrer Lösungsfindung unterstützen. Und ich schnappe mir sehr gerne Methoden und Modelle aus dem Agilen Management und adaptiere diese für die Netzwerkziele.
Was ist deine Lieblings-Anekdote aus dem bildung.digital-Netzwerk, das du begleitest?
Wie Excel-Kenntnisse einen dazu qualifizieren, Digitalisierungsbeauftrager seiner Schule zu werden. Nein, ganz ehrlich, was mich schon beeindruckt ist, wie hier dem Ressourcenmangel getrotzt wird.
Es sind ja eher so „David und Goliath“-Anekdoten, die wir hier hören. Wie Schulen sich ihre Kompetenzen selbst aufbauen müssen, von pädagogischen Konzepten und Ansätzen bis hin zur technischen Infrastruktur. Dass Lehrer:innen ein bis zwei Ausgleichsstunden dafür bekommen, dass sie die gesamte Schul-IT verwalten und betreuen. Dass remote unterrichtet werden soll, Schulen aber teilweise gar nicht ans Internet angeschlossen sind.
Es birgt ja schon eine gewisse Komik – oder eben Tragik, dass wir bei den bildung.digital-Netzwerktreffen immer wieder Teilnehmer:innen verlieren oder nichts hören können, weil ihre Internetverbindungen in den Schulen nicht stabil sind oder die Bandbreite einfach nicht ausreicht.
Und was ich wirklich bewundere bei all den Anekdoten, ist, wie die Lehrer:innen sich davon nicht abhalten lassen und einfach mal machen. Diese Mentalität ist schon toll.
Wie hat sich deine Arbeit durch Corona verändert?
Tatsächlich extrem, aber das habe ich so erstmal gar nicht wahrgenommen. Am Anfang überwog schon das Aufregende. Die plötzliche Herausforderung, die Arbeit in die digitale Welt zu verlegen und das Lernen zusammen mit den Zielgruppen.
Zu Beginn der Pandemie arbeitete ich gerade mit mehreren Nachbarschaftsinitiativen zusammen. Da waren auch ältere Menschen dabei. Es war natürlich super spannend, die in den digitalen Raum mitzunehmen und die Hürden abzubauen.
Ich habe auch festgestellt, welche Formate im Digitalen viel besser funktionieren. Beispielsweise begleite ich regelmäßig eine Gruppe mit 20-30 Personen. Sie arbeiten sehr gerne im Plenum, wo alle Themen im Detail ausdiskutiert werden. Und mit den Methoden, die ich ihnen im digitalen Raum angeboten habe, waren sie plötzlich viel strukturierter und effizienter.
Aber natürlich fehlt der persönliche Kontakt, der Austausch in den Pausen, das Kennenlernen - auch abseits der Workshopprogramme. Man bekommt in Präsenz von den anderen Menschen eben viel mehr mit. Das auszugleichen, sehe ich auch als wichtigen Teil meiner Arbeit.
Welche Tipps hast du für digitale Veranstaltungsformate?
Die wichtigste Lektion ist wohl, dass man nicht einfach Konzepte aus dem Analogen eins zu eins ins Digitale übertragen kann. Digitale Zusammenkünfte sind viel anstrengender und brauchen viel mehr Energie. Das liegt unter anderem daran, dass wir unterbewusst ständig nach nonverbalen Signalen suchen, die wir in Präsenz bekommen. Dazu kommt die schlechtere Akustik, Anspannung, schlechte Körperhaltung und zu wenig Bewegung. Das alles führt dazu, dass wir nach vier Stunden Online-Workshop so erschöpft sind, wie nach acht Stunden in Präsenz.
Daher habe ich drei Faustregeln für die Umsetzung digitaler Angebote:
- Macht weniger: Reduziert euer Programm. Konzentriert euch nur auf euer Kernziel. Macht regelmäßige Pausen.
- Ermöglicht Interaktion und Austausch: Inputs und Wissensvermittlung können wir im Digitalen asynchron leisten. Das Wertvolle an der gemeinsamen Zeit ist der Austausch.
- Mut zur Lücke. Im Digitalen sind wir alle wieder Lernende. Das ist okay und das könnt ihr auch gerne transparent machen. Nutzt die Möglichkeiten miteinander und voneinander zu lernen.
Was ist aktuell dein meistgenutztes Tool – hast du einen Geheimtipp?
Aktuell ist es die Whiteboard-Plattform Miro. Letztlich kann man aber auch jedes andere Whiteboard-Tool nutzen, das hilft, die Arbeit bzw. das Gesagte zu strukturieren und zu visualisieren. Das ist im Digitalen tatsächlich noch notwendiger als in Präsenz. Ganz einfach, weil der Kopf mit vielen Dingen gleichzeitig befasst ist. Wir haben das alle gemerkt: Digitales Arbeiten zieht viel mehr Energie. Deshalb ist es so wichtig, immer wieder die Fragen und Aufgaben visualisiert vor sich zu haben und schnell und einfach Stichpunkte machen zu können.
Und deshalb braucht es auch immer wieder Anlässe, diese Ernsthaftigkeit und Anstrengung etwas aufzulösen, z.B. mit Internetquatsch. Das Internet bietet so viel Spaß und Ablenkung. Gelöste Stimmung ist wichtig und ist digital eben nicht so ein Selbstläufer.
Wann macht dir dein Beruf am meisten Spaß?
Wenn es fließt. Also eigentlich immer, wenn ich im Arbeiten bin. Ich liebe es, mich mit neuen Zielgruppen, Lebenswelten und Aufgabenstellungen auseinander zu setzen. Konzeptionelle Arbeit erfordert ja immer auch Perspektivwechsel und die Frage: Mit welchen Methoden oder mit welchem Wissen kann ich meine Teilnehmer:innen am besten bei der Erreichung ihrer Ziele unterstützen? Das ist wie Ping Pong: Ich biete euch etwas an. Hat euch das was gebracht? Was ist jetzt eure nächste Frage? Wovon braucht ihr mehr, wovon weniger? Wenn man die Welle richtig erwischt, man den Ball im gleichen Flow hin und her spielt, dann kann man gemeinsam richtig viel erreichen. Und das ist für mich das Schönste an meiner Arbeit.
Gibt es etwas, wofür du die Pädagog:innen, die an bildung.digital teilnehmen, bewunderst?
Das habe ich zu Beginn schon ein wenig vorweggenommen: Ganz insgesamt die „Wir packen das jetzt mal an“-Mentalität. Das Bewusstsein, dass man vor einer Mammut-Aufgabe steht. Dass man Fehler machen wird und nicht alles glatt laufen wird. Die Erkenntnis, dass die bereitgestellten Ressourcen nicht ausreichen und dass das alles auch noch on Top gemacht werden muss. Gleichzeitig sehe ich die Lust darauf, etwas zu verändern. Die erkennbare Neugier und Freude auf die Möglichkeiten, die mit der Entwicklung einhergehen. Das finde ich schon bewundernswert. Ich freue mich, dass ich diesen Prozess unterstützen und zum Gelingen beitragen kann.