Beim Thema Home Schooling und Bildungsgerechtigkeit muss neben den Grundschul- und Sekundarstufe-I-Kindern aber noch eine andere Gruppe berücksichtigt werden. Etliche Expertinnen und Experten haben in den letzten Wochen darauf hingewiesen, dass die im März in Kraft getretenen Schulschließungen soziale Ungleichheiten in Bezug auf Bildung verstärken - etwa der Schweizer Bildungsforscher Prof. Dr. Stephan Huber hier im Interview mit der Zeit oder die Leiterin der ICILS-Studie in Deutschland Prof. Dr. Birgit Eickelmann hier in einem NRD-Podcast.
Demnach mangelt es in sozio-ökonomisch benachteiligten Familien eher an digitalen Endgeräten, auf denen Kinder und Jugendliche ihre Schulaufgaben erledigen können, sowie an einer dafür ausreichenden Internetgeschwindigkeit. Auch der Matthäus-Effekt, der schon zu "normalen” Zeiten für ungleiche Voraussetzungen für Bildungserfolg sorgt, kommt in der jetzigen Situation verstärkt zum Tragen: "Schüler mit Lernmotivation, hoher Strukturierungskompetenz und auch mit mehr Vorwissen und positiven schulischen Vorerfahrungen werden aus dem Fernunterricht vermutlich einen deutlich größeren Nutzen ziehen können,” sagt Prof. Dr. Stephan Huber der Zeit. Gleichzeitig profitieren diese Schülerinnen und Schüler davon, dass ihre Eltern sie tendenziell besser und engmaschiger beim Distanzlernen begleiten können. Und auch die sogenannte “Digitale Kluft” spielt eine Rolle: Sozial benachteiligte Kinder und Jugendliche verfügen im Vergleich zu ihren Peers über geringere digitale Kompetenzen, weshalb ihnen, wie auch den Jüngeren, die Arbeit mit digitalen Plattformen schwerer fallen dürfte.
Laut dem “Deutschen Schulbarometer Spezial”, einer repräsentativen Umfrage unter Lehrkräften zu ihren aktuellen Herausforderungen im Zusammenhang mit dem Coronavirus, gehen 86 Prozent von ihnen davon aus, dass sich die Effekte der sozialen Ungleichheit durch die Schulschließungen verstärken werden. Die Bildungsforscher Prof. Dr. Klaus Hurrelmann und Dr. Dieter Dohmen fassen es in einem Gastbeitrag auf dem Deutschen Schulportal so zusammen: “Ungünstige Voraussetzungen multiplizieren sich: Wer die dafür erforderlichen Geräte nicht hat, kann an digitalisiertem Unterricht nicht oder nur eingeschränkt teilnehmen. Wer sich selbst nicht strukturieren kann und keine Eltern hat, die beim häuslichen Lernen motivieren und fachlich unterstützen, lernt weniger als sonst. Der Anteil digitaler Analphabeten ist unter Haupt-, Real- oder Sekundarschülern deutlich höher als unter Gymnasiasten. Unter diesen Umständen ist es nicht erstaunlich, dass zwei Drittel der Lehrkräfte befürchten, die Lernrückstände bis zum Schuljahresende nicht mehr aufholen zu können.”