Schule im digitalen Wandel: den Widerstand liebevoll umarmen

Schulentwicklung wird am Augustinus-Gymnasium Weiden großgeschrieben. Durch die Teilnahme an bildung.digital war es auf den virtuellen Unterricht gut vorbereitet. Wie die Schule stetig neue Herausforderungen meistert, erzählt Birgit Zimmermann im Interview. 

"We miss you" - das Augustinus-Gymnasium Weiden zu Coronazeiten; Foto: Augustinus-Gymnasium Weiden

Kurz nachdem Ende März 2020 aufgrund der Covid-19-Pandemie in Deutschland die Schulen geschlossen worden waren, erreichte das Team von bildung.digital eine Nachricht der ehemaligen bildung.digital-Netzwerkschule Augustinus-Gymnasium Weiden in der bayerischen Oberpfalz. “In den vergangenen Jahren hat unsere Schule dank Ihrer Unterstützung die Digitalität vorangetrieben“, heißt es darin.

Das Schreiben schließt mit den Worten: „Heute ist der 30. März 2020. Seit zwei Wochen ist die Schule aufgrund der Pandemie geschlossen. Die digitale Kommunikation zwischen Schülern und Lehrkräften und der digitale Unterricht ist gerade die einzige Möglichkeit Lerninhalte zu übermitteln. Jetzt zeigt sich gerade die Sinnhaftigkeit und der Nutzen unserer Teilnahme an dem Netzwerk der DKJS – bildung.digital. An unserem Gymnasium funktioniert der digitale Unterricht mittels der schulischen Kommunikationsplattform problemlos und einwandfrei. Dafür möchten wir Ihnen danken!“

Selbstredend haben wir von bildung.digital uns sehr über dieses Schreiben gefreut. Gleichzeitig wollten wir genauer nachfragen: Was hat besonders geholfen? Was war herausfordernd? Und was können andere Schulen daraus lernen? Birgit Zimmermann, die am Augustinus-Gymnasium Weiden Kunst und Neue Medien in den Jahrgangsstufen 5 bis 12 unterrichtet, stand uns daraufhin Frage und Antwort.

Liebe Frau Zimmermann, vielen Dank, dass Sie sich die Zeit für dieses Interview nehmen. Wie ist denn die aktuelle Situation an Ihrer Schule, auch im Hinblick auf die schrittweise Wiederöffnung?

Birgit Zimmermann: Die Stimmung ist eigentlich sehr gut! Endlich sind wieder circa 100 Schülerinnen und Schüler der Q12, also diejenigen, bei denen das Abitur demnächst ansteht, seit dem 4. Mai zurück an unserer Schule. Was ist eine Schule ohne Lärm und Lachen? Die Schülerinnen und Schüler haben uns sehr gefehlt und wie es hier in Bayern aussieht, wird voraussichtlich auch bis zum Ende des Schuljahres kein „normaler“ Schulbetrieb möglich sein. Auch wenn wir seit den Schulschließungen mit Hilfe von digitalen Mitteln Kontakt zu Allen halten und den Unterricht ins Virtuelle verlagert haben – all das ist kein äquivalenter Ersatz für den direkten Kontakt.

Um die Hygienemaßnahmen zu garantieren, gibt es an unserem Gymnasium ein ausgeklügeltes Hygiene-System und einen neuen Stundenplan. Alle anderen Schülerinnen und Schüler werden seit den Schulschließungen nach einem neuen Stundenplan in den Kernfächern mittels Webkonferenzen unterrichtet. Ich selbst unterrichte jetzt auch teils vor Ort und teils digital. Hierfür ist der Schultag über einen längeren Zeitraum gestreckt, da wir online immer eine Stunde unterrichten und dann eine Stunde Pause haben. Die Arbeitsaufträge in allen Fächern, die Elternbriefe und Nachrichten werden mittels Schulmanager Online - einem Programm, das zur Schulverwaltung eingesetzt wird – verteilt. Alle Schülerinnen und Schüler haben seit der Einführung des Schulmanager Online im Schuljahr 2018/19 einen persönlichen Account. Dieses Schulverwaltungsprogramm hat es uns im März ermöglicht, ohne Probleme von einem Tag auf den anderen auf den virtuellen Unterricht umzusteigen.
 

Ihre Schule hat von 2017 bis 2019 am Programm „bildung.digital – Netzwerk ganztägig bilden“ teilgenommen. Bei bildung.digital setzen sich Schulen eigene Entwicklungsvorhaben im Bereich Digitalisierung und setzen diese mit Unterstützung des Programms und des Netzwerks um. Welches Vorhaben hatte sich Ihr Schulteam 2017 gesetzt? Auf welche Herausforderung hatten Sie dabei reagiert?

Birgit Zimmermann: Schulentwicklung wir an unserer Schule großgeschrieben. Im Vordergrund dieser Schulentwicklungsmaßnahme stand die Vernetzung zwischen Schule und offener Ganztagsschule. Unser Projekt war die Etablierung einer Kommunikationsplattform zur digitalen Vernetzung von Schülern, Eltern, Lehrkräften und den Betreuern der offenen Ganztagsschule, in der Arbeitsaufträge, Hausaufgaben und Mitteilungen unter Anderem digital übermittelt werden. Dabei ging es meiner Kollegin Katrin Witt und mir einerseits darum, Verwaltungsprozesse zu bündeln und zu digitalisieren, und anderseits, einfache Kommunikationswege zwischen den verschiedenen Akteuren des Schullebens zu etablieren. Mit dieser Schulentwicklungsmaßnahme haben wir aktiv die Zukunft unserer Schule gestaltet und unsere Schulgemeinschaft gestärkt.

Was haben Sie in den zwei Jahren umsetzen können und wie hilft Ihnen das in der jetzigen Situation? Und wie genau hat Ihnen die Teilnahme an bildung.digital bei der Einführung und Etablierung der Kommunikationsplattform geholfen?

Teilnehmende an einem bildung.digital-Netzwerktreffen tauschen sich über den Entwicklungsstand an ihren Schulen aus; Foto: DKJS

Birgit Zimmermann: Das Netzwerk der DKJS hat zur Umsetzung unseres Projekts maßgeblich beigetragen. Die größte Herausforderung war die Mitnahme und Akzeptanz des gesamten Kollegiums von der analogen Gegenwart in die digitale Zukunft. Die Digitalisierung im schulischen Bereich kann nur mit den Lehrkräften stattfinden, nicht gegen sie. Als Teilnehmer des Netzwerks bildung.digital haben wir Werkzeuge und Unterstützungsmaßnahmen kennengelernt, um Change-Management-Prozesse an unserer Schule zu starten. In Workshops haben wir beispielsweise Mittel der Prozesssteuerung kennengelernt, die uns dabei geholfen haben, Veränderungsprozesse an unserer Schule anzustoßen und zu begleiten.

Schrittweise haben wir das neue digitale Verwaltungssystem als Kommunikationsplattform und Verzahnung zwischen Regelschule und offener Ganztagsschule mit einzelnen Lehrkräften und Eltern auf freiwilliger Basis getestet, evaluiert und behutsam den Kreis erweitert. Dabei war es uns wichtig, den Veränderungsprozess nicht von „oben nach unten“ zu strukturieren, sondern mit den Kolleginnen und Kollegen. Dieser Prozess hat von der Idee bis zur Etablierung zwar länger gedauert – wir sprechen hier von einem Zeitrahmen von zwei Jahren – dafür waren dann am Ende alle mit im Boot. Und um bei dieser Metapher zu bleiben: Dieses Boot hat sich jetzt in dieser Corona-Zeit zu unserer Arche Noah entwickelt. Und wir alle – Eltern, Schüler und Lehrkräfte – sind froh, dass wir ein funktionierendes digitales System haben!

Wir konnten zudem von der Erfahrung mit digitalen Klassenbüchern der Partnerschulen des Netzwerks bildung.digital über die Bundeslandgrenzen hinaus profitieren. Der gegenseitige Austausch und die Hospitation von Schulen im gesamten Bundesgebiet haben dazu beigetragen, neue Impulse für unser Projekt zu bekommen. Die Möglichkeit des länderübergreifenden Austauschs von Wissen und Best-Practice-Beispielen sehe ich persönlich als eine weitere wertvolle Unterstützung unserer Schulentwicklung. Als technischen Umsetzungspartner vor Ort konnten wir außerdem die Universität Bayreuth gewinnen.
 

Viele Schulen waren im März 2020 noch nicht so weit wie Ihre. Was empfehlen Sie Schulen, die sich jetzt auf den Weg in Richtung digitaler Wandel machen?

Birgit Zimmermann: Ein Kollege von mir sagt immer: „den Widerstand liebevoll umarmen“. Ein Lehrerkollegium besteht aus vielen und zumindest in Bayern verbeamteten Individuen mit einer unterschiedlichen Altersstruktur. Digital Natives sind eher eine rare Spezies in so einem System. Als ersten Schritt sollte man herausfinden, wer Interesse und Motivation hat, die Schule voranzubringen und aus welchen Gründen manche die digitalen Maßnahmen ablehnen.

Wir haben festgestellt, dass die Ablehnung vieler Lehrkräfte aus der Sorge bestand, mit diesen für sie neuen digitalen Werkzeugen nicht klar zu kommen. Hier haben wir als erstes ein breit gefächertes Angebot von schulinternen Fortbildungen etabliert und ein individuell buchbares Digitalisierungsteam als Support eingesetzt. Keiner darf überfordert und abgehängt werden! Aus diesem Grund ist auch eine kleinschrittigere Planung und Umsetzung digitaler Projekte erforderlich. Um das gesamte Kollegium mitzunehmen, ist eine offene Kommunikation und Transparenz nach allen Seiten wichtig und ein kontinuierlicher Austausch mit allen Beteiligten notwendig. Und diejenigen, die partout nicht wollen, müssen nicht. Bei uns machen jetzt alle freiwillig mit!

Obwohl Ihre Schule vergleichsweise sehr gut auf die Schulschließungen vorbereitet war – gibt es trotzdem schon Learnings aus dem „Stresstest“ der vergangenen Wochen? Ergeben sich daraus neue Vorhaben, die Ihre Schule nun angehen will?

Birgit Zimmermann: Wir entwickeln kontinuierlich neue Strukturen und Möglichkeiten, um den Schülern das Homeschooling zu erleichtern. Seit Ostern, als absehbar war, dass die Schulen nicht öffnen, haben unsere Schüler alle einen neuen Stundenplan und jede Lerngruppe im Schulmanager online ein „virtuelles Klassenzimmer“ und damit eine feste Struktur für den Online-Unterricht, um Lernprozesse erfolgreich zu gestalten.

Dafür haben wir unsere Kooperation mit der Universität Bayreuth weiter ausgebaut. Diese stellt uns die Serverkapazität und das eigene System zur Verfügung. Virtuelle Klassenzimmer können zudem auch individuell gebucht werden, um Schüler in sogenannten Lernbüros zusätzlich zu unterstützen. Für Webkonferenzen haben wir jetzt den Dienst Big Blue Button in unsere Schulmanagement-Plattform integriert. Wir bekommen auch positives Feedback von Eltern, die froh sind, dass es nicht für jedes Fach eine andere Lösung gibt, sondern alles zentral über eine Plattform läuft. Und wir Lehrkräfte halten darüber regelmäßig Teamsitzungen ab, um uns über pädagogische Maßnahmen auszutauschen. Kein Schüler soll verloren gehen!

Wir wissen nicht, was die Zukunft bringt, aber ich denke, dass wir gut gewappnet sind, um auf die kommenden Herausforderungen zu reagieren. All das würde jedoch nicht ohne das engagierte Kollegium des Augustinus-Gymnasiums funktionieren. Mit dem treffe ich mich gleich in der nächsten Teamsitzung, um die neuen Stundenpläne zu besprechen, die jetzt durch den neuen Fahrplan der Staatsregierung für die Schulöffnungen nötig werden. An Stillstand ist nicht zu denken!

Dabei wünschen wir Ihnen alles Gute und bedanken uns herzlich für das Gespräch!