Lieber Andreas, mal ganz platt gefragt: Was kann Twine und was kann Twine nicht?
Twine ist eine Erzähl-Maschine, ein Programmiertool, mit dem man Abenteuergeschichten oder allgemein Text Adventures programmieren kann – und eigentlich kann es alles!
Wenn du mit Kindern und Jugendlichen mit Twine arbeitest und du sagst, wir bauen heute ein eigenes Spiel, dann fragen die natürlich sofort: „Ah mit welchem Programm denn, da müssen wir bestimmt ein 3D-Tool verwenden?“ – und du sagst „nö, wir machen das alles mit Text!“ dann sind die Gesichter der Kinder erstmal lang. Wenn du dann aber zusammen mit ihnen überlegst, wo eigentlich Bilder, Szenarien, Stimmungen entstehen – nämlich im Kopf, über meine Vorstellung – und die kann ich verbalisieren – dann sind viele Kinder und Jugendliche, vor allem die, die selbst in Spielewelten zu Hause sind, sehr schnell davon überzeugt, dass sie das mit Twine auch können. Sie erzählen dann ihre manchmal auch wilden Phantasiegeschichten in diesem Texttool. Darin kann man verzweigte Text Adventures erzählen und sogar spielerische Elemente mit reinbringen, zum Beispiel Punkte zählen, Punkte abziehen, Zufallsgeneratoren einbauen… sehr viele sehr grundlegende Elemente, die in Games eine Rolle spielen.
Was man mit Twine nicht machen kann sind Point-and-Click Adventures oder große 3D Animationsspiele.
Wie kompliziert ist es, Twine im Unterricht einzusetzen – sowohl bezogen darauf, was man den Schülerinnen und Schülern abverlangt, als auch was man als Lehrkraft mitbringen muss, um damit gut arbeiten zu können?
Wenn man Spaß daran hat, Geschichten zu erzählen und auch Schülerinnen und Schüler dazu zu bewegen, Geschichten zu erzählen, dann ist das überhaupt kein Aufwand. Weil dieses Tool eigentlich sehr selbsterklärend ist. Es braucht genau drei Erklärungsschritte (siehe gelber Kasten unten) und dann kann ich das sogar mit dem letzten, schlechtesten PC in der Schule einsetzen – nur eine Internetverbindung braucht er. Wenn ich ein gutes Hand-out habe mit den wenigen Befehlen, die es gibt, dann kann ich sehr, sehr schnell zumindest schon einmal eine verzweigte Geschichte erzählen, die ganz schnell auch schon spielbar ist, so dass ich ganz schnell auch ein Ergebnis habe.
Und als Lehrkraft, ja das ist eine gute Frage, eigentlich brauche ich als Lehrkraft nicht sehr viel mehr tun, als Strukturierungselemente vorzugeben, also gemeinsam mit der Klasse zu überlegen, was eine gute Geschichte oder ein gutes Game auszeichnet oder was wichtig ist, wenn man Personen beschreibt, Charaktere beschreibt. Das sind eigentlich eher inhaltliche Sachen. Das „Programmieren“ erfordert tatsächlich nicht besonders viel, das kann man einmal ausprobieren und dann auch sofort weitergeben. Oder was ich immer vorschlage, drei Schülerinnen dranzusetzen das auszuprobieren und die das dann erklären zu lassen, weil das eben wirklich einfach ist.
Also gut für Einsteiger geeignet. Was würdest du sagen, ab welchem Alter, ab welchen Klassenstufen kann man damit starten?
Wir haben es bisher ab der fünften Klasse ausprobiert, das klappt gut. Bei Älteren macht es uns als Anleitern manchmal mehr Spaß, weil die dann mehr in die Programmierung einsteigen und ausprobieren, was passiert wenn man Punkte sammelt oder was passiert, wenn man vorher einen bestimmten Weg gewählt hat und dann einen anderen. Man sollte ein bisschen auf einer Tastatur schreiben können, das macht dann schon mehr Spaß. Man sollte auch formulieren können, was man im Kopf hat. Die schönsten Ergebnisse hat man ab der sechsten, siebten Klasse aufwärts.
Das klang alles sehr nach Deutschunterricht. In welchen Fächern kann man Twine einsetzen, in welchen Themenbereichen habt ihr schon Erfahrungen gesammelt?
Ja, Deutsch bietet sich natürlich an denkt man immer so, wo auch Literatur besprochen wird. Und was ja im Deutschunterricht gefordert wird, auch mal das Medium zu wechseln, in dem man Geschichten erzählt – mal im Theater, mal als Film Geschichten zu denken oder als Hörspiel. So kann man hier eben auch nochmal weiterdenken in Form von einem Computerspiel, in dem man auch klassische Schulliteratur oder Schullektüre anders umsetzen kann.
Ich glaube aber, Twine ist für jedes Fach geeignet. Ich könnte es mir sogar in Biologie vorstellen, wo ich mir dann irgendein Phänomen erarbeite, zum Beispiel das Leben der Ameisen im Wald, und unterschiedliche Rechercheergebnisse auf unterschiedliche Erzählebenen setze und mir die Verbindungslinien suche. Ich kann mir auch komplizierte Prozesse veranschaulichen darüber. Auch für Referate kann ich es verwenden, indem ich interaktive Elemente für die Klasse vorbereite, um meinen Vortrag anzureichen. Mir fällt eigentlich kein Fach ein, in dem man Twine nicht einsetzen könnte.
Also sehr vielseitig! Hast du denn ein Lieblingsbeispiel für einen besonders kreativen Einsatz von Twine?
Es gibt so viele Beispiele, weil wir es ja auch schon so oft gemacht haben! Wenn die Jugendlichen ein bisschen Zeit haben, sind die Geschichten sehr verzwickt und die Charaktere sehr fein gezeichnet. Neulich hat ein Mädchen eine unglaublich lange, verzweigte Geschichte, nicht aus dem eigenen Leben, aber eines gleichaltrigen Mädchens erzählt über die Probleme, die sich ihr in ihrer Lebensphase stellen. Auch mit sehr schönen Dialogen. Aber eigentlich habe ich keine spezielle Lieblingsgeschichte, mich beeindruckt eher diese große Fantasie, die da eingesetzt wird und die vor allem auch geweckt wird.
Es wird oft über Tools gesagt, dass man mit ihnen so fantasievoll umgehen kann. Mein Lieblingsbeispiel ist immer Calliope Mini. Es heißt immer, damit kannst du so kreativ werden – aber das dauert lange! Ich muss viel erst “abprogrammieren” um zu entdecken, was ich damit eigenständig machen könnte. Bei Twine ist es so, ohne eine kreative Energie funktioniert es gar nicht, dann macht es gar keinen Spaß. Dann kann ich nur Ja/Nein-Geschichten erzählen. Ich brauche eine gewisse Grundkreativität – und die wird dadurch geweckt, dass es so schnell geht und dass so schnell auch ein Ergebnis sichtbar wird.
Vielen Dank!