Im Interview berichten die Mitglieder von Tandem 2 (DAW SE — Friedrich-List-Schule Darmstadt) vom gesteigerten gegenseitigen Verständnis durch die Zusammenarbeit. Für die Friedrich-List-Schule nahm Schulleiter Jaroslav Kois teil, für DAW SE der Ausbilder Mark Godbey.
In welchen Fachbereich ist Ihr Tandem aktiv?
Jaroslav Kois (JK): Unser Tandem bezieht sich auf die Ausbildungen zur „Fachkraft für Lagerlogistik“ und die Ausbildung zur/m „Fachlagerist:in (IHK)“. Damit sind wir quasi „Exoten“ bei den Lernortkooperationen.
Was motiviert Sie, sich im Themenfeld „Stärkung der Lernort-Kooperation mit digitalen Ansätzen“ zu engagieren?
JK: Bei uns in der Schule ist nur wenig digitalisiert, das spiegelt die betriebliche Praxis nicht wider. Denn insbesondere die Fachkräfte für Lagerlogistik arbeiten im Betrieb mit Lagerverwaltungsprogrammen, Excel und anderen Programmen. Derzeit wird auch das Ausbildungscurriculum überarbeitet und enthält in Zukunft deutlich mehr digitale Elemente, sowohl in der Vermittlung als auch in der betrieblichen Praxis.
Mark Godbey (MG): Wir sehen, dass in den Schulen sehr viel Theorie und nicht viel digital vermittelt wird, dabei nehmen wir in den Betrieben bei manchen Tätigkeiten kaum noch Blätter in die Hand.
Wie lautete das Projektvorhaben, das Sie zu Beginn formuliert haben?
JK: Wir wollten fachbezogene Videos und Fotos aus der betrieblichen Praxis erstellen, sowohl für den Unterricht als auch für den Betrieb.
Wie kam es zu der Idee?
JK: Zunächst wurde uns bewusst, dass unser Tandem keine Energie in eine digitale Plattform investieren wollten, da diese womöglich nicht weiter genutzt und aufgrund wechselnder Vorgaben des Ministeriums sowie aufgrund des Datenschutzes zu schwer zu bearbeiten sein würde.
Stattdessen kamen wir gemeinsam auf die Idee, Lernvideos und Fotos zu erstellen, die für Schulungen, zur Bewerbung des Ausbildungsganges sowie zur Erschließung logistischer Arbeitsschritte und Prozesse genutzt werden können.
Was haben Sie sich davon versprochen?
MG: Die Videos und Fotos können unsere Standardanweisungen für neue Mitarbeitende und Auszubildende sowie die jährlichen Betriebs- und Arbeitsanweisungen, die bisher noch durchgelesen werden müssen, ergänzen oder sogar ersetzen. Denn der Input, wie beispielsweise die Beschreibung einer Gefahrensituation oder von Maßnahmen zur Ladungssicherung, kommen über Videos nicht so trocken rüber. Zudem ist der Lerneffekt bei digitalen Formaten deutlich besser.
JK: Fachbezogene Videos, etwa wie man einen Stapler fährt, wie man einen Lkw belädt oder auch ein Konfliktgespräch führt, machen wichtige Arbeitssituationen für Schüler:innen besser nachvollziehbar. Für uns Lehrende ergibt sich mit den Videos die Gelegenheit, Reflexionen anzuregen: Was macht dieser Betrieb hier anders als der eigene? Was könnte man in dieser konkreten Situation besser machen? Anhand der Videos können beispielsweise Auszubildende mit Fluchthintergrund auch bestimmte Sachverhalte leichter erfassen oder einüben.
Gibt es konkrete Erfolge, von denen Sie erzählen können?
Jaroslav Ko: Nach der Präsentation der 360 Grad-Bilder unseres Übungslagers und der Videos wurden sich alle Beteiligten nochmals der Potenziale digitaler Medien bei der Themenvermittlung bewusst. Zudem haben wir uns im Tandem erfolgreich zu möglichen Inhalten geeinigt und die Videos in Betriebsbegehungen konkret geplant. Die Verzahnung von betrieblicher Praxis und schulischer Theorie ist für alle Seiten ein Gewinn.
Zudem sind erste eigene Videos entstanden, beispielsweise zum Betrieb eines Elektrohubwagens. Weil darin unsere Kolleg:innen aus der Schule zu sehen waren, haben die Schüler:innen besonders aufmerksam hingeschaut und die Fehler, die wir zu Übungszwecken absichtlich eingebaut hatten, sehr schnell erkannt.
MG: Auf Basis unserer gemeinsamen Überlegungen entstand auch ein Film zur Kommissionierung im Übungslager der Schule. Außerdem haben wir uns gegenseitig in der Schule und im Betrieb besuchen können, das war sehr interessant.
Welche Hindernisse hatten Sie zu überwinden?
JK: Es war entmutigend, dass aufgrund der Pandemie und wiederkehrender Lockdown-Regelungen immer wieder fest eingeplante Termine ausfallen mussten. Aus diesem Grund konnten wir auch nur im schulischen Übungslager Videos drehen und nicht im Betrieb. Es war gut, dass wir gleich zu Beginn einstimmig beschlossen hatten, uns hinsichtlich des Projektzeitraums keinen Druck zu machen und einfach darüber hinaus weiter zusammenzuarbeiten.
MG: Aufgrund der Tatsache, das wir nur ein kleines Tandem waren und wir Mitarbeitenden des Betriebes im Drei-Schichten-System arbeiten, war es schwer, gemeinsame Termine und generell freie Zeit zu finden, um an dem Projekt zu arbeiten.
Wie sind Sie mit dem Prozess im Nachhinein zufrieden? Was sind positive Wirkungen?
JK: Oft „werkelt“ jede Seite vor sich hin. Deshalb fand ich es unheimlich inspirierend, im Rahmen des Projektes die DAW zu besuchen und zu sehen, vor welchen Herausforderungen Unternehmen wie diese stehen und welche Lösungen Beteiligte finden. Mit diesem Wissen kann ich die Inhalte in der Schule besser der betrieblichen Praxis anpassen.
MG: Auch ich fand es sehr gut, dass wir die Berufsschule und deren Übungslager besichtigen und dort teilweise auch Hinweise zur Gestaltung des Übungslagers geben konnten. Andersherum war es schön, den Lehrkräften bei der Besichtigung bei uns zu zeigen, wie wir in der Praxis arbeiten. So haben beide Seiten etwas gelernt.
Wie geht es mit dem Projektvorhaben nach der Netzwerk-Teilnahme weiter?
JK: Wir werden die Kooperation weiter führen und intensivieren, es gibt viele Bereiche der Ausbildung, in der Fotos und Videos genutzt werden können. Ich denke da beispielsweise an Warenannahme, -verpackung und -versand. Auch könnten sich Schule und Betrieb als Expert:innen zu bestimmten Themenbereichen gegenseitig beraten.
MG: Wir werden bestimmt auch in Zukunft weitere gemeinsame Begehungen machen, dann auch gemeinsam mit den Schüler:innen. Und wir werden weitere Videos drehen, beispielsweise zur Lkw-Verladung und zur Ladungssicherung. Wie bei einem Baukasten kommen dann immer mehr Filme hinzu, die aufeinander aufbauen.
Welche Rahmenbedingungen brauchen Projekte wie Ihres, um erfolgreich durch- und fortgeführt zu werden?
JK: Als Schule müssten wir noch besser ausgestattet werden mit Arbeitsmaterial, Kameras, PCs, Software oder auch passenden Fortbildungen zu bestimmten Themen der Digitalisierung. Hierfür bedarf es noch mehr Unterstützung seitens des Ministeriums: Etwa in Form von funktionsfähigen Tools und Austauschplattformen oder auch Support oder einer einheitlichen Definition von Digitalisierung. Noch versteht jeder etwas anderes darunter.
Wie kam es, dass Sie in Tandem wurden und wie haben Sie sich organisiert?
MG: Eine Kollegin aus unserem Betrieb ist für die Lernortkooperation auf die Schule zugegangen, das heißt, unsere Kooperation ist erst durch dieses Projekt entstanden.
JK: Da ich mich in der Schule bereits vorher für die Digitalisierung stark gemacht habe, wurde ich zu einem der Ansprechpartner der DAW. Zunächst hat sich die Projektgruppe per E-Mail ausgetauscht, später gründeten wir eine Chatgruppe, welche die Kommunikation erleichterte. Die gegenseitigen Besuche der Lager waren ebenfalls wichtige Bausteine der Lernortkooperation.
Was hat sich während Ihrer Zusammenarbeit verändert und wie geht es weiter?
MG: Unsere Organisation hat gut funktioniert, wir fanden schnell viele gemeinsame Anknüpfungspunkte sowie einen guten Draht zueinander. Auch sind wir im Laufe des Projektes noch enger zusammengerückt. Daher werden wir den Austausch auf jeden Fall fortsetzen und alles daran setzen, dass die kurzen Informationswege bestehen bleiben.
JK: Wir haben nicht nur unser berufliches Netzwerk erweitert, sondern auch ein besseres Verständnis für die Arbeitsprozesse der jeweils anderen Seite gewonnen. Ich konnte mir vorher nicht vorstellen, was für eine organisatorische Herausforderung das Drei-Schichten-System mit sich bringt. Unser persönlicher Draht ist kürzer geworden.
Was sind entscheidende Bedingungen für die Zusammenarbeit und was würden Sie anderen für die Gestaltung der Lernortkooperation empfehlen?
JK: Passend zum Projekthintergrund könnte man sagen: Die Chemie muss stimmen. Denn wenn die Interessen vieler Beteiligter nicht zueinander passen, kann es anstrengend werden. Wir waren uns zum Glück schnell einig, in welche Richtung das Projekt gehen soll.
Die gemeinsamen Ziele und Inhalte müssen realistisch sein, damit niemand frustriert zurückbleibt. Statt möglicherweise bestimmte Projekte „übers Knie zu brechen“ ist es wichtiger, dass sich alle in dem Projekt wiederfinden und auf Dauer gut zusammenarbeiten.
Wie bewerten Sie Ihre Teilnahme an #HESSENbildung.digital generell und in den Veranstaltungen?
MG: Die Organisation war sehr gut – schade nur, dass ich nicht an der ersten Veranstaltung teilnehmen konnte und daher für mich alles virtuell war. Ohne die geplanten Präsenzveranstaltungen ging sicherlich einiges verloren und die teilnehmenden Tandems haben eher nebeneinander her statt miteinander gearbeitet.
JK: Auch ich fand die Gestaltung des Gesamtprojekts mithilfe verschiedener Formate und Plattformen gut gelungen. Die Kick-Off-Veranstaltung in Präsenz war besonders inspirierend, die Teilnehmenden sind da richtig aufeinander zugegangen. Die Videochats wirkten für mich wie ein Filter, welche die persönlichen Kontakte erschwerten. Nichtsdestotrotz habe ich viele Informationen mitgenommen: Hängen bleiben werden vor allem die Seminare zur Augmented Reality, zum Thema Smart Factory und zur DSGVO sowie die Idee eines Tandems, Videos zur Nutzung von Taschenrechnern zu drehen. Es besteht ja im Nachhinein immer noch die Möglichkeit, persönlich Kontakt aufzunehmen.