© Tandem 1: B.Braun SE - Radko-Stöckl-Schule
Im Interview berichten die Mitglieder des Tandems B.Braun - Radko-Stöckl-Schule von ihrer erfolgreichen Kooperation und ihren bildungspolitischen Hoffnungen. Für die Radko-Stöckl-Schule nahmen die Lehrkräfte Andreas Ries und Marco Pelz, für B. Braun SE die Ausbilder Axel Becker, Georg Rohde und Daniel Kuhnert teil.
In welchem Fachbereich ist Ihr Tandem aktiv?
Marco Pelz (MP): Wir sind im gewerblich-technischen Bereich verortet, im Rahmen des Projektes geht es speziell es um die Ausbildungen Elektroniker:in für Informations- und Systemtechnik (EIS) sowie Mechatroniker:in. Ab dem zweiten Ausbildungsjahr sind die Auszubildenden wechselweise zwei Wochen in der Schule und drei Wochen im Betrieb; im dritten Schuljahr sind sie vier Tage die Woche im Betrieb und einen Tag in der Schule.
Was motiviert Sie, sich im Themenfeld „Stärkung der Lernort-Kooperation mit digitalen Ansätzen“ zu engagieren?
MP: Unser Projekt-Engagement ist eng verknüpft mit der gemeinsamen Einführung des neuen Ausbildungsberufes Elektroniker:in für Informations- und Systemtechnik (EIS) bei uns in der Schule sowie bei unserem langjährigen Partner B. Braun SE. Wir sahen das Projekt als eine Chance, unsere Visionen für diesen Ausbildungsgang in Nordhessen weiterzuentwickeln und zu etablieren.
Axel Becker (AB): Der Projektstart zur Entwicklung des neuen Berufsbildes EIS fiel, wie es der Zufall so wollte, auf den Beginn der Pandemie. Da kam der Fokus auf die Digitalisierung gerade recht.
Wie lautete das Projektvorhaben, das sie zu Beginn formuliert haben? Was haben Sie sich davon versprochen?
Andreas Ries (AR): Wir wollen das Berufsbild Elektroniker:in für Informations- und Systemtechnik (EIS) in Nordhessen etablieren und eine gemeinsame Kommunikations- und Lernplattform aufbauen, um mit den digitalen Werkzeugen gemeinsame Lerneinheiten und Kurse zu erarbeiten.
AB: Damit hatten wir uns Einiges vorgenommen und das letztendlich auch bewältigt. Oder bildlich gesprochen: Wir hätten es uns mit einem kompakten Sprinter einfacher machen können, haben aber letztendlich den 40-Tonner gewählt.
MP: Dafür konnten wir mit dem 40-Tonner aber mehr bewirken.
Gibt es konkrete Erfolge, von denen Sie erzählen können?
MP: Gemeinsam und unter ständiger Absprache ist es uns gelungen, ein lernortübergreifendes Curriculum und eine Art digitales Klassenbuch zu entwickeln.
AB: Außerdem haben wir ein Qualifizierungsprogramm auf den Weg gebracht, so dass wir als Partner in Bezug auf die neuen Ausbildungsinhalte auf dem gleichen Stand sind. Ausbilder:innen unseres Betriebs sowie Lehrkräfte der Schule haben sich selbst noch einmal berufsbegleitend für 18 Tage auf die Schulbank gesetzt, um sich die gemeinsamen Lerninhalte anzueignen und abzustimmen. Hierfür stellten beide Seiten enorme personelle und finanzielle Ressourcen bereit. Die Finanzierung teilen sich Betrieb und Schule zur Hälfte auf, unterstützt vom Förderverein der Schule.
Daniel Kuhnert (DK): Wir konnten zahlreiche neue Schüler:innen und Studienabbrecher für den neuen Ausbildungsberuf gewinnen. Diese konnten wir während der Pandemie teilweise auch digital unterrichten.
AB: Das war insofern kein Problem, weil alle EIS-Auszubildenden Laptops und alle angehenden Mechatroniker:innen iPads mit Firmensoftware nutzen konnten.
MP: Passend zur Digitalisierung implementierten einige Kolleg:innen neue Selbstlernkonzepte, so dass die Schüler:innen mithilfe eines Portfoliomanagementsystems individuell lernen und arbeiten konnten. So geben wir immer mehr Verantwortung in die Hände der Auszubildenden ab und vollziehen auch selbst einen Wandel vom Lehrenden zu Lernbegleiter:innen.
Gab es Hindernisse zu überwinden?
MP: Wir hatten ein wunderbar funktionierendes Videokonferenzsystem als Schnittstelle zum Betrieb, als wir dies aus Datenschutzgründen gegen ein anderes austauschen mussten. Dies lief leider nicht immer so gut wie das vorherige.
AB: Es ist nicht optimal, während eines Projekts das System wechseln zu müssen. Einfacher wäre es, wenn die Bundesländer im Rahmen solcher Kooperationen auch digitale Plattformen erlauben würden, die ohnehin von den meisten Akteur:innen genutzt werden.
MP: Leider bleibt es aus diesem Grund bei vielen guten Projekten auch nur bei Insellösungen, obwohl es eigentlich übergreifende Lösungen bräuchte.
Wie sind Sie mit dem Ergebnis im Nachhinein zufrieden? Was sind (möglicherweise auch unerwartete) positive Wirkungen?
AB: Es gibt tatsächlich messbare Ergebnisse, denn der Teil 1. der IHK-Abschlussprüfungen der EIS-Auszubildenden war sehr erfolgreich. Darauf können die Kolleg:innen stolz sein.
DK: Alle Noten bewegen sich im Einser- und Zweierbereich. Die Auszubildenden waren gut vorbereitet und finden sich auch wirklich in dem neuen Beruf wieder.
MP: Das Ausbildungssystem der Mechatroniker:innen war etwas veraltet und so entstand im Zuge der Lernortkooperation auch ein Projekt zur Modernisierung und Digitalisierung dieser Ausbildung.
AR: Unsere Schule erhält wertvolle Unterstützung durch den Betrieb, etwa bei der Programmierung oder wenn wichtige fachliche Entscheidungen zu treffen sind. Dieser konstruktive Austausch läuft gewissermaßen parallel zum Hauptprojekt.
Wie geht es mit dem Projekt nach der Netzwerk-Teilnahme weiter?
MP: Wir wollen den Transfer, den wir im Rahmen der Lernortkooperation für den neuen Ausbildungsberuf EIS geschaffen haben, auch auf andere Ausbildungsberufe und langfristig auch auf andere Betriebe übertragen.
AB: Ideal wäre die Entwicklung einer gemeinsamen Lernplattform, die es möglich macht, noch besser und vor allem rechtssicherer miteinander zu kommunizieren.
Was waren entscheidende Bedingungen, dass Sie gut zusammenarbeiten und das Projektvorhaben voranbringen konnten?
DK: Der EIS ist ein vergleichsweise neuer Beruf und wir sind in der Region die einzigen, die EIS-Auszubildenden in einer derart hohen Zahl betrieblich ausbilden. Umso wichtiger ist unsere Zusammenarbeit mit der Schule.
AR: Von Vorteil sind eindeutig auch die räumliche Nähe – beide Partner sind in Melsungen ansässig – und die Tatsache, dass wir uns schon vorher persönlich kannten und im Austausch standen.
AB: Wir treffen uns in verschiedenen Arbeitsgruppen ohnehin regelmäßig und brauchten uns für das Projekt nicht erst neu finden. So konnten wir unsere Kräfte direkt in die Etablierung des neuen Berufsbildes stecken.
MP: Unsere Partnerschaft ist durch das Projekt noch ehrlicher und intensiver geworden.
AB: Unsere Feedbackkultur ist nicht nur geprägt von gegenseitigem Schulterklopfen, sondern auch von sachlicher Kritik. Nur so kann man sich auch weiter entwickeln. Die Tatsache, dass nun alle Projektbeteiligten für dieses Interview an einem Tisch sitzen, zeigt gut, wie eng wir zusammengerückt sind.
Was sind wichtige Faktoren für eine gute Zusammenarbeit im Dualen System?
MP: Entscheidend sind gemeinsame Kompetenzen und die Bereitschaft, im normalen Alltag zeitliche und finanzielle Ressourcen in die Partnerschaft zu investieren – und sich auch dann zusammenzusetzen, wenn es mal nicht so gut läuft.
AB: Förderlich für die Zusammenarbeit ist sicherlich auch, dass Herr Pelz regelmäßig selbst für ein paar Tage für ein Praktikum zu uns kommt. Auch andere Lehrkräfte können in unseren Betrieben hospitieren.
DK: Andersherum wurden auch die Betriebsmitarbeitenden eingeladen, gelegentlich am Schulunterricht teilzunehmen.
MP: Das hat viel mit Wertschätzung zu tun: Es ist wichtig, sich zu verstehen, sich auf die Arbeitsweise des anderen einzulassen und über den eigenen Tellerrand zu blicken. Duale Ausbildung findet nicht vor oder hinter der Klassenraumtür statt – idealerweise bleibt die Tür stets offen.
Welche Rahmenbedingungen brauchen Projekte wie Ihres, um erfolgreich durch- und fortgeführt zu werden?
Georg Rohde (GR): Insbesondere die Schulen bräuchten mehr finanzielle Mittel, um Ausbildungsinhalte in Fachprojekten umzusetzen. Das haben es die Betriebe schon einfacher.
DK: Idealerweise hätten Berufsschulen ein strategisches Budget.
AB: Hilfreich wären auch eine engere Verzahnung sowie schnellere Reaktionszeiten seitens der verschiedenen Ministerien. Denn die politischen und wirtschaftlichen Prozesse werden der Agilität der Unternehmen und der digitalen Transformation noch nicht gerecht.
AR: Wegen der langwierigen Antragstellung und fehlender Finanzierungsmöglichkeiten braucht die Schule manchmal bis zu drei Jahre, um die eigene Hard- und Software auf den neuesten Stand zu bringen. Dabei müssen die Auszubildenden in den Betrieben direkt mit den aktuellsten Geräten oder Programmen arbeiten können.
Wie bewerten Sie rückblickend Ihre Teilnahme an den Seminaren und Netzwerktreffen von #HESSENbildung.digital?
MP: Die Seminare haben uns viele interessante Impulse gegeben, insbesondere zum Thema Datenschutz. Außerdem sind wir dank eines Vortrags auf ein E-Portfoliosystem aufmerksam geworden und bieten das nun auch an unserer Schule an. Spannend war auch der Austausch mit anderen Tandems.
GR: Durch die Veranstaltungen wurde uns bewusst, was wir als Tandem bereits einiges erreichten konnten und hessenweit gar nicht so schlecht dastehen.
AR: Wir haben im Austausch mit anderen Tandems gesehen, dass es viele engagierte Menschen mit guten Ideen gibt. Leider handelt es sich, wie schon erwähnt, meistens um Insellösungen vor Ort. Wünschenswert wären bildungspolitisch geförderte und flächendeckende Lösungen, so dass sich Schulen und Betriebe nicht immer wieder eigene und neue Austauschmöglichkeiten suchen müssen.
AB: Da der Projektstart in den Beginn der Pandemie fiel, mussten alle Beteiligten – sowohl die Kooperationspartner:innen als auch die Organisator:innen – ihre ursprünglichen Konzepte neu gestalten. Leider fanden die Netzwerktreffen deshalb auch nur digital statt. Ich hoffe nun für die Abschlussveranstaltung, dass sich alle Beteiligten mal in Präsenz sehen und austauschen können.
MP: Das Positive ist aber: Trotz dieser besonderen Herausforderungen und eingeschränkten Möglichkeiten in den letzten zwei Jahren ist es allen Beteiligten gelungen, etwas zu bewirken.