© Annette Jagla I Hans-Werner Bormann
Annette Jagla begleitet eines der nordrhein-westfälischen Europaschul-Netzwerke. Im Interview berichtet sie, welche Faktoren das Programm bildung.digital für sie so besonders machen.
In ihrer Arbeit als Beraterin und Moderatorin versteht sich Annette Jagla als „Pfadfinderin“ – ihre Aufgabe sieht sie darin, gemeinsam mit den Menschen den Weg für gelingende Veränderungen in Organisationen zu finden. Basis dafür ist die feste Überzeugung, dass die richtige Lösung in der Organisation liegt und nicht durch die Beratungsperson mitgebracht wird. Was sie in ihrer Rolle als Organisationsentwicklerin mitbringt, ist Proviant für diesen Weg und eine Landkarte, um ihre Kunden-Organisationen zu unterstützen, neue Wege auch in unbekanntem Gelände zu gehen. Neues gemeinsam zu entwickeln und mit der Diversität der Erfahrungen und Perspektiven der Teilnehmer:innen neue Qualitäten möglich zu machen, macht Annette Jagla zu einem großen Fan von Netzwerkarbeit.
Zu Beginn: Was ist dein Lieblings-Warmup?
Für mich ist es ganz wichtig, die Beziehungsebene zu stärken – eine Aufgabe, die im digitalen Raum, der uns ja eher in Abstand voneinander hält und uns nur als zweidimensionale Bilder sichtbar macht, noch viel wichtiger ist als in realen Räumen. Ich sorge dafür, dass sich gleich zu Beginn alle Teilnehmenden vorstellen und in kleinen Gruppen miteinander ins Gespräch kommen können, um das Gefühl des Ankommens und Gesehen-Werdens zu unterstützen.
Wie bist du zum Thema Schulentwicklung gekommen?
Ich habe schon sehr lange in einem anderen Non-Profit-Bereich gearbeitet, nämlich in der Kultur. Und da lag die Erweiterung meines Arbeitsfeldes in Richtung Bildung nahe. Ich halte beide für unverzichtbar, um gerade Kinder und Jugendliche in ihren Entwicklungsmöglichkeiten und in ihrem Kompetenzerwerb zu unterstützen, auch und besonders diejenigen, deren Elternhäuser das nicht in so großem Maße leisten können: Das Motto „Zukunft statt Herkunft“ prägt meine Arbeit. In der Praxis heißt das: ich berate Schulen und Kultureinrichtungen, ihre sich wandelnden Aufgaben angesichts der gesellschaftlichen Megatrends Digitalisierung, Globalisierung, New Work, Nachhaltigkeit etc. erfüllen zu können und gemeinsam dafür Strukturen und Programme in den Einrichtungen zu schaffen.
Gibt es am Programmansatz von bildung.digital etwas, das dir besonders gut gefällt?
Ich war schon in der ersten Phase des Programms bildung.digital als externe Moderatorin dabei. Für mich ist die Kombination der verschiedenen Bausteine ein ganz wichtiger Faktor für die Wirkung des Programms. bildung.digital kombiniert Input zu relevanten Themen mit der methodischen Unterstützung der Schulen in Entwicklungsprozessen. Gleichzeitig fördert es den Erfahrungsaustausch zwischen den teilnehmenden Schulteams im Sinne des Peer Learning – sowohl in den Tandems als auch im Netzwerk insgesamt – und macht so einen großen Erfahrungsschatz für alle zugänglich. Diese Art zu arbeiten, spiegelt sich auch in der Arbeit im Team von Netzwerk¬leitungen und externen Moderator:innen wider: Wir bringen unser gesamtes Know-how zusammen und planen Netzwerktreffen und Webinare, Referenten-Input und Maker-Spaces gemeinsam, was mir großen Spaß macht.
Was ist deine Lieblingsmethode in der Arbeit mit Schulentwicklungsnetzwerken?
Lehrkräfte sind ja Expert:innen für Lehren und Lernen, nicht so sehr für die Gestaltung von Schulentwicklungsprozessen. Ich versuche bei meiner Arbeit daher immer, den Teilnehmer:innen auch Input zu neuen Arbeitswerkzeugen zu liefern, die sie dann für die anstehenden Aufgaben auch sofort einsetzen und erproben können. Manchmal erzeugt das anfangs eine gewisse Skepsis, aber die Feedbacks sind dann doch meist sehr positiv.
Zu diesen Werkzeugen gehört auch alles, was im Werkzeugkoffer des Effectuation-Frameworks zu finden ist. Mit diesem Ansatz gelingt es, in Situationen mit hoher Ungewissheit aktiv ins Handeln zu kommen: kollaborativ, gestaltend und agilen Prinzipien verpflichtet, helfen die einzelnen Werkzeuge gerade in der Anfangsphase von Projektentwicklung mittelorientiert die Arbeit zu beginnen - auch wenn bzw. gerade weil das Ziel häufig noch nicht so klar ist.
Was ist deine Lieblings-Anekdote aus dem bildung.digital-Netzwerk, das du begleitest?
Die Bildung von Arbeits-Tandems innerhalb der Netzwerke ist immer eine Aufgabe, die wir mit viel Fingerspitzengefühl angehen. Dabei spielen ganz viele Faktoren eine Rolle, ob Tandems letztendlich gut miteinander arbeiten können. Bereits das erste Netzwerktreffen der Europaschulen hat uns in dieser Hinsicht optimistisch gestimmt. Obwohl das Tandem-Matching noch kein Thema war, hatten sich die ersten Schulpaare schon gefunden.
Wie hat sich deine Arbeit durch Corona verändert?
Auch bei mir hat sich die Arbeit unter dem Einfluss der Pandemie massiv verändert. Das hat positive und auch negative Seiten. Neben der Erweiterung meines eigenen digitalen Know-hows hat der höhere Anteil an digitaler Kommunikation an vielen Stellen Vorteile gebracht. Videokonferenzen und digitale Arbeitsplattformen erleichtern den Arbeitsalltag mit Partner:innen, die nicht alle an einem Ort sind, weil sie sehr viel Reisezeit sparen. Das wird sicher auch in Zukunft so bleiben.
Aber durch den Wechsel zwischen digitalen und Präsenz-Formaten in den letzten Monaten, wird mir auch immer wieder sehr deutlich, wo die „Grenzen des Digitalen“ liegen. Non-verbale Kommunikation ist längst nicht so gut zu erfassen wie in Formaten, wo alle im selben dreidimensionalen Raum präsent sind. Stimmungen rein via Bildschirm wahrzunehmen, bleibt eine echte Herausforderung.
Welche Tipps hast du für digitale Veranstaltungsformate?
Wir alle haben in den letzten zwei Jahren schon sehr viel über die Moderation von Online-Konferenzen und Workshops gelernt. Genauso wichtig wie die Gestaltung der Arbeitsphasen ist dabei die Gestaltung der Pausen! Mein Hashtag dazu: #WegVomSchreibtisch!
Pausen sollten länger sein als in analogen Formaten, am besten noch verbunden mit einem Bewegungsangebot, das die Teilnehmenden von ihrem Bürostuhl „weglockt“. Oder ich animiere die Teilnehmenden zu Zweier-Gesprächen via Handy, verbunden mit ein paar Schritten „um den Block“. Ich versuche auch möglichst Zeit für informellen, selbstorganisierten Austausch der Teilnehmer:innen anzubieten: Networking in virtuellen Räumen wie spatial.chat oder wonder.me, was nochmal eine deutlich andere Qualität ermöglicht als reine Zoom- oder Teams-Räume.
Was ist aktuell dein meistgenutztes Tool - hast du einen Geheimtipp?
Ich bin ein sehr großer Miro-Fan! Das Online-Collaboration-Board ist eines meiner Lieblings-Werkzeuge – und die Chancen stehen gut, dass das auch „post Corona“ so bleiben wird. Miro (oder andere Online-Whiteboards wie Mural bzw. Conceptboard) sind Flipchart, Arbeitsbord, Präsentationsgalerie in einem – und sind für jede:n Prozessbeteiligten jederzeit zugänglich. Inzwischen nutze ich Miro auch für ganze Organisationsentwicklungsprozesse und Netzwerkprojekte als Arbeits- und Dokumentationsort.
Ich bin ein extrem visueller Mensch und Miro hilft auch mir selbst bei der Strukturierung und Darstellung von Themen. Das fängt bei der schnell erstellten Mindmap für die Gliederung eines Arbeitsthemas oder eines Artikels an und hört erst bei der Gestaltung ganztägiger Workshops auf.
Last but not least: Ich arbeite auch außerhalb von bildung.digital sehr viel in wechselnden Konstellationen mit Menschen an unterschiedlichen Standorten zusammen – auch da ist eine digitale Arbeitsplattform natürlich extrem hilfreich.
Wann macht dir dein Beruf am meisten Spaß?
Es gibt zwei unterschiedliche Situationen in meiner Arbeit als systemische Beraterin, die große Zufriedenheit auslösen: Wenn ich während eines Workshops spüre, wie plötzlich Energie im Raum entsteht, die Beteiligten wie selbstverständlich ins Miteinander kommen und die Ideen nur so sprudeln. Alle bekommen plötzlich ganz rote Backen, vergessen die Zeit – und brauchen die Moderatorin dann gerade gar nicht mehr…
Ähnlich geht es mir in der Begleitung größerer Organisationsentwicklungs-Prozesse. Wenn nach anfänglichen Schwierigkeiten und Widerständen der Prozess Fahrt aufnimmt, erste Veränderungen umgesetzt und gelebt werden können. Mich freut, wenn daraus wieder weitere Energie und Motivation entstehen, um die nächsten Schritte zu gehen.
Gibt es etwas, wofür du die Teilnehmenden, die du im Netzwerk in NRW begleitest, bewunderst?
Meiner Einschätzung nach stehen Lehrkräften deutlich zu wenig Ressourcen (an Zeit und an Weiterbildungsmöglichkeiten) für Projekte der Schulentwicklung zur Verfügung. Denjenigen, die sich trotzdem aufmachen, Schule weiterzuentwickeln, Strukturen und Inhalte neu zu gestalten und auch ihre eigene Rolle in diesem System zu verändern, gilt meine Hochachtung.
Das gilt in besonderem Maß für die teilnehmenden Europaschulen, die es sich zur Aufgabe gemacht haben, Europa für die nachwachsenden Generationen von Schüler:innen erfahrbar zu machen. An Europaschulen können Schüler:innen in internationalen Begegnungen neue Lernerfahrungen machen – und hoffentlich zu Botschafter:innen der Idee vom kulturell vielfältigen Europa werden. Dass sich im Netzwerk bildung.digital alle Schulteams während der Corona-Zeit weiter engagiert haben und die Möglichkeiten ausloten, wie man neue Programme und Angebote trotzdem voranbringen kann, dazu kann ich nur sagen: Hut ab!