© Tim Krüger I zweimalzwei-fotografie
Tim Krüger begleitet eines der nordrhein-westfälischen Europaschul-Netzwerke bei bildung.digital. Im Interview berichtet er, warum für ihn gerade die Netzwerkarbeit besonders inspirierend ist.
Als Trainer, Berater und Coach begleitet er Menschen und Organisationen auf dem Weg der Veränderung und legt dabei den Fokus auf gesellschaftliche Vielfalt als Ressource. Die Arbeit mit Bildungseinrichtungen - von der Kita bis zur Hochschule - ist ihm dabei eine Herzensangelegenheit. Seine zentralen Werte Freiheit, Vertrauen und Entwicklung fließen auch in seine Moderationstätigkeit im Europaschul-Netzwerk I ein.
Zu Beginn: Was ist dein Lieblings-Warmup?
Ich starte immer mit einer Eröffnungsrunde, in der jede Person ihre Gedanken zu einer positiv ausgerichteten Frage mit der Gruppe teilt und dafür gleich viel Zeit hat. Eine freiwillige Person beginnt und gibt dann das Wort eindeutig an die nächste Person im bzw. gegen den Uhrzeigersinn ab. Im virtuellen Raum erstelle ich für die Runden vorab einen „virtuellen Tisch“, an dem alle ihren Namen finden und damit die Reihenfolge klar ist. Durch solche Eröffnungsrunden kommen zwei grundlegende Prinzipien zum Ausdruck, die mir wichtig in meiner Haltung als Moderator sind: Erstens ist jemand erst wirklich da, wenn er oder sie zum ersten Mal gesprochen hat. Und zweitens kommt es auf jede:n Einzelne:n an, jede:r ist wichtig.
Wie bist du zum Thema Schulentwicklung gekommen?
Schon seit Beginn meiner Selbständigkeit habe ich meinen Fokus auf den Nonprofit-Bereich in den Branchen Bildung und Soziales gelegt: Und so hat es sich in den Jahren ergeben, dass ich Menschen aus Organisationen entlang der ganzen Bildungskette begleite – von der Kita, über Schulen bis hin zu Hochschulen. Mir ist diese Ausrichtung ein Herzensanliegen, denn von diesen Orten geht ein großes Potenzial für positiven gesellschaftlichen Wandel aus. Wie unsere nachfolgenden Generationen Bildung erfahren und wie sie sich dadurch entwickeln, ist vielleicht DIE Quelle zur Beantwortung unserer großen gesellschaftlichen Fragen. Und da bin ich dankbar, dass ich hier einen kleinen Beitrag mit meiner Arbeit leisten kann.
Gibt es am Programmansatz von bildung.digital etwas, das dir besonders gut gefällt?
Mir gefällt der Netzwerkgedanke an sich: Das bringt die beteiligten Lehrer:innen von Beginn an auf kollegiale Augenhöhe, in einen Geist des voneinander und miteinander Lernens. Und das ist ein wunderbarer Nährboden für die Entwicklung und Umsetzung neuartiger Ideen und Projekte.
Was ist deine Lieblingsmethode in der Arbeit mit Schulentwicklungsnetzwerken?
Meine Lieblingsmethode ist das Thinking Environment® nach Nancy Kline. Hier steht die Schaffung von Bedingungen für das bestmögliche Denken der Beteiligten im Mittelpunkt – denn schließlich hängt alles was wir tun, also die Ergebnisqualität, von der Qualität des vorausgegangenen Denkens ab. Nancy Kline hat hierfür 10 Komponenten entwickelt, die für bestimmte Haltungen und Verhaltensweisen stehen, um eine entsprechende Beziehungsqualität für gutes Denken in Gruppen zu schaffen. Das passt wunderbar zur Arbeit mit Netzwerken, denn schließlich ist Netzwerkarbeit ja in erster Linie Beziehungsarbeit, wodurch neue Ideen, Gedanken und Möglichkeiten zünden können. Der Ansatz des Thinking Environment® hat mich auch als Geisteshaltung stark inspiriert und ist daher auch zum Rahmen und zur Haltung meiner Arbeit geworden- entsprechend vergeht kein Workshop oder Netzwerktreffen ohne solche „Denkräume.“
Was ist deine Lieblings-Anekdote aus dem bildung.digital-Netzwerk, das du begleitest?
Ich denke da spontan an die Vorbereitung des zweiten Netzwerktreffens, bei dem das Matching der Tandempartner im Fokus stand. Hier haben wir in der Planung viel diskutiert, wie wir das Finden der geeigneten Partner-Schulen mit ausreichend Fingerspitzengefühl möglichst gut unterstützen können. Als es dann während des Treffens „live“ in die Findungsphase der Tandems ging, lief der Prozess entspannt ab und alles fügte sich von selbst. Das hat mir einmal mehr gezeigt, wie wichtig es ist, der „Intelligenz“ und der „Eigenverantwortung“ der Gruppe zu vertrauen. Also für mich als Moderator war die Message klar: Es ist wichtig, dass ich an bestimmten Momenten loslasse und dem Prozess und der Gruppe anvertraue.
Wie hat sich deine Arbeit durch Corona verändert?
Ich sehe Corona insgesamt als riesigen Lern- und Veränderungsprozess. Persönlich war ich damit beschäftigt, durch die Höhen und Tiefen dieser Zeit zu gehen. Natürlich ist verstärkt das virtuelle Arbeiten dazu gekommen, als neues „Spielfeld“ und Möglichkeitsraum. Aber mit jedem Lockdown habe ich mir schon gedacht: Werde ich überhaupt jemals wieder „frei“ in Präsenz mit einer Gruppe in einem Raum arbeiten können? Das ist ja Hauptbestandteil meiner Arbeit. Also drängt Corona mich dazu, auch immer wieder meine berufliche Identität zu hinterfragen – was kann und will ich machen? Was ist möglich? Was möchte ich nicht? Und wo sehe ich mein Potenzial? Und der Prozess geht ja noch weiter – ich bin gespannt, welche Erfahrungen noch dazu kommen.
Welche Tipps hast du für digitale Veranstaltungsmerkmale?
Ich fokussiere mich besonders auf die Qualität der Beziehungen unter den Anwesenden: Damit alle trotz der räumlichen Distanz gut im Kontakt sind, thematisiere ich zu Beginn einer Session die Bedeutung der bewussten gegenseitigen Aufmerksamkeit und des Zuhörens. Das trägt entscheidend dazu bei, wie die empfundene Verbundenheit erlebt wird und wirkt sich unmittelbar auf die Ergebnisqualität und Effektivität des Formats aus. Grundlage dafür ist ein passendes Setting: Ton und Bildqualität müssen stimmen und alle sollten in ihre Kameras schauen, um Blickkontakt zu den sprechenden Personen herzustellen. Aber auch, dass sich die Teilnehmenden den Ort „schön“ gestalten, um ein störungsfreies Umfeld zu haben. Ich schicke hierzu bei neuen Gruppen immer ein kurzes „Briefing“ mit. So kann sich jede:r in Ruhe und bewusst „äußerlich“ vorbereiten und auch innerlich auf die Bearbeitung der Themen ausrichten.
Was ist aktuell dein meistgenutztes Tool - hast du einen Geheimtipp?
Mein Favorit ist tatsächlich der „virtuelle Tisch,“ den ich vorhin schon angesprochen habe. Also eigentlich ein analoges Tool, um den virtuellen Austausch in Gruppen flüssiger und achtsamer zu gestalten. Hier werden alle Namen vorab in eine „Sitzordnung“ im Kreis notiert und das Dokument wird allen zur Verfügung gestellt. Somit ist die Reihenfolge in Plenumsrunden klar, und ich kann auf die Funktion „Hand heben,“ Redner:innenlisten oder ein permanentes Intervenieren als Moderator verzichten. Das führt dazu, dass die Aufmerksamkeit aller bei der jeweils sprechenden Person bleibt und sich die Gruppe selbst moderiert. Hier kommt noch ein weiteres analoges „Tool“ zum Einsatz, das ich immer verwende: Einen Timer, um für gleiche Redezeiten zu sorgen. Dadurch entsteht kein „Zeitdruck“, schnell zur nächsten Person zu gehen, da jede:r genau weiß, dass er oder sie die gleiche Zeit hat, um die eigenen Gedanken zu teilen und ggf. auch das Wort weitergeben kann. Oft entwickeln die Menschen bereits nach einer Runde ein gutes Gefühl dafür, sich gleich viel Raum zu nehmen und ich kann in weiteren Runden bereits auf den Timer verzichten.
Wann macht dir dein Beruf am meisten Spaß?
Wenn ich ein Gefühl von Verbundenheit und Vertrauen in der Gruppe spüre. Das drückt sich meistens durch einen aufrichtigen und wertschätzenden Austausch aus, bei dem jede:r ehrlich und offen Denken und Aussprechen kann, was tatsächlich im Raum steht. Ich mag es sehr, wenn es in die „Tiefe“ geht. Außerdem macht es mir Spaß, wenn ich mich als Moderator als gleichberechtigter Teil der Gruppe „einreihen“ kann und die Gruppe nach einiger Zeit beginnt, sich selbst zu moderieren und in einen eigenen Rhythmus und Flow kommt.
Gibt es etwas, wofür du die Teilnehmenden, die du im Netzwerk der Europaschulen in NRW begleitest, bewunderst?
Ich bewundere das Engagement der teilnehmenden Lehrer:innen, sich dem Spirit „Europas“ zu widmen, um den Geist dieser großartigen Idee der Einheit in Vielfalt, quasi als Botschafter:innen und Vorbilder an junge Menschen weiterzugeben. Ich mag den Entdeckergeist, der für mich ganz eng damit verbunden ist, wenn es um internationalen Austausch geht. Es gibt für Menschen in Europa so viele Möglichkeiten zum voneinander lernen und austauschen, die sich durch die Unterschiedlichkeit unserer Sprachen und Kulturen eröffnen. Das ist schon ein ganz besonderes Profil und Wirkungsfeld für Schulen, das ich sehr schätze.