Maria, danke dass du dir die Zeit nimmst, unsere Fragen zu beantworten. Kannst du ein paar Worte zur Historie des Corona School e.V. sagen? Wie ist er entstanden und warum?
Unser Impuls, die Corona School zu gründen, entsprang aus den pandemiebedingten Schulschließungen im März 2020. Nicht nur die Schulen schlossen, auch der Semesterbeginn von uns Studierenden wurde um Wochen verschoben. Daher die Idee: Schüler:innen mit den Studierenden für 1:1-Lernunterstützung verbinden. Unsere Erfahrung mit nunmehr mehr als 13.000 Lerntandems zeigt, dass die individuelle, digitale Unterstützung der Schüler:innen gleich mehrfach hilft - und das über Corona hinaus: beim Verständnis schulischer Themen und der Prüfungsvorbereitung, aber auch bei Selbststrukturierung und Mentoring.
Ihr habt sehr viele Unterstützungspartner:innen gewinnen können. Welche sind auch inhaltlich eingebunden und haben aktive Rollen?
Das ist ganz unterschiedlich. Die Unterstützungspartner:innen reichen von reiner finanzieller Unterstützung bis hin zur Unterstützung bei Konzipierung, Umsetzung und Öffentlichkeitsarbeit. Um einmal drei Beispiele zu nennen: Duale Studierende des Unternehmen SAP unterstützen uns bei der technischen Umsetzung der Plattform. Das 1:1-Projektcoaching haben wir von Anfang an mit der Stiftung Jugend forscht e.V. konzipiert und wir arbeiten eng zusammen, etwa beim Marketing. Durch die Zusammenarbeit mit dem Ministerium für Bildung Rheinland-Pfalz können Lehramtsstudierende dort flächendeckend unser digitales Praktikum für Lehramtsstudierende absolvieren, und Schulen wurden über unsere Angebote informiert.
Euer Anliegen ist die Bildungsgerechtigkeit. Könnt ihr einschätzen, wie gut ihr Schüler:innen in benachteiligten Lagen erreicht?
Wir messen und evaluieren unsere Angebote, etwa in regelmäßigen Feedbackbefragungen. Dort gibt es auch die Frage an Schüler:innen und Studierende, ob sie auch anderweitig Unterstützung bekommen können, bzw. an die Unterstützer:innen, ob sie denken, dass der:die Schüler:in auch anderweitig Unterstützung bekommen könnte. Seit Einführung des Registrierungshinweises im November 2020 ist diesen Indikatoren nach der Anteil der bildungsbenachteiligten Schüler:innen nochmal deutlich gestiegen. Zuletzt arbeiten wir auch mit lokalen Partnern zusammen, um solche Schüler:innen zu erreichen.
Arbeitet ihr auch direkt mit Schulen zusammen?
In einem derzeit laufenden Pilotprojekt arbeiten wir mit mehreren Partnerschulen zusammen, die eben jene Schüler:innen für die Corona School vorschlagen und bei der Anmeldung und dem gesamten Prozess unterstützen, die von dem Angebot besonders profitieren können und durch beispielsweise sozioökonomische Faktoren erschwert Zugriff auf z.B. kommerzielle Nachhilfe haben. Durch Partnerschulen auf unsere Plattform gekommene Schüler:innen erhalten dann priorisiert Zuteilungen, da dort der Bedarf der Unterstützung bestätigt ist. Bei dem Pilotprojekt möchten wir außerdem wertvolle Erkenntnisse über das Lernverhalten der unterstützten Schüler:innen gewinnen.
Ihr schreibt, Sessions finden per Videochat statt. Wie funktioniert das konkret?
Grundsätzlich geben wir den Lerntandems kein Tool vor, das benutzt werden muss, da das von den technischen Möglichkeiten der Schüler:in und des Studierenden abhängt, ob sich das eine oder andere Tool besser anbietet. Wir stellen aber einen Videolink bereit, der genutzt werden darf und hosten eine modifizierte BigBlueButton-Instanz, welche z.B. für unsere Gruppenkurse benutzt wird.
Was war bisher die tollste Rückmeldung von einem Schüler oder einer Schülerin bzw. einem Studenten oder einer Studentin?
Das ist schwer zu beantworten, es gibt ganz viele tolle und motivierende Feedbacknachrichten, von Schüler:innen, Studierenden und auch den Eltern. Am meisten in Erinnerung geblieben sind mir persönlich die allerersten Rückmeldungen letztes Frühjahr. Als wir das erste Mal nach wenigen Wochen Corona School Feedback erfragt haben, haben Schüler:innen berichtet, wie kurz vor ihrem Abitur die letzten Schulwochen ausfielen, und sie ohne die Unterstützung vielleicht den Abschluss nicht schaffen würden. Studierende haben erzählt, mit wie viel Freude sie ihren Nachhilfestunden entgegengefiebert haben, da sie im Lockdown gerade so wenige soziale Kontakte haben und durch den verlorenen Nebenjob etwas ersehnt Sinnvolles tun konnten. Alleinerziehende Eltern haben erzählt, wie sie neben ihrem Vollzeitjob gar nicht in der Lage gewesen wären, ihre Kinder zu unterstützen und sie uns unglaublich dankbar für die Vermittlung sind. Das sind natürlich Extrembeispiele, aber ich glaube zu diesem Zeitpunkt haben wir zum ersten Mal realisiert, dass wir schon etwas stolz auf uns sein können.
Ihr nehmt auch die Lehramtsstudierenden in den Blick: Pflichtpraktika an den Schulen können gerade nicht stattfinden. Was habt ihr euch hier überlegt?
Wir haben gemeinsam mit anderen Akteur:innen, etwa Universitäten, ein digitales Praktikum für Lehramtsstudierende konzipiert, unter dem Namen „Digital Lehren Lernen“. Wir bieten dabei eine Kombination von digitalen Gruppenlehrveranstaltungen und einer digitalen 1:1-Lernunterstützung an, in denen Studierende eine oder mehrere Unterrichtsstunden planen, entwickeln und durchführen können. Sie werden dabei bei Bedarf von Mentor:innen der Corona School unterstützt und begleitet. Darüber hinaus bieten wir Online-Fortbildungen zur Medienkompetenz sowie verschiedene Formen des Austauschs und der Reflexion an. Uns ist es wichtig, mit unserem Konzept sowohl inhaltliche als auch pädagogische, didaktische und technische Kompetenzen zu fördern. Insgesamt haben bereits über 200 Lehramtsstudierende ein Praktikum im Corona School e.V. absolviert. Außerdem wird das digitale Praktikum bereits von 15 Universitäten anerkannt.
Corona School soll auch Daten für die Forschung liefern. Was darf man sich hierunter vorstellen?
Das eben genannte Praktikum wird von der Goethe-Universität Frankfurt wissenschaftlich begleitet. Dabei geht es um Konzipierung und Evaluation des Praktikums. Digitale Lernformen werden auch über Corona hinaus relevant sein. Zusätzlich tauschen wir uns etwa mit den Kooperationsschulen über den Lernfortschritt der Schüler:innen aus, um offene Bedarfe zu erkennen und nachsteuern zu können, aber auch um zu verstehen, welche Maßnahmen digitales Lernen effektiv machen.
Hoffentlich braucht es die Corona School in ihrer jetzigen Form bald nicht mehr. Wie geht es dann für euch weiter? Wo seht ihr Baustellen oder Bedarfe in den nächsten Jahren?
Flächendeckende Schulschließungen werden hoffentlich mit dem Ende der Pandemie Geschichte sein, das Problem der Bildungsungerechtigkeit bleibt. Viele Studien belegen, dass auch zu normalen Zeiten Schüler:innen aus sozial schwächeren Familien schlechtere Chancen in der gesamten Schullaufbahn haben, was durch eine eindeutige Kopplung zwischen Schulleistungen und sozialer Herkunft belegt wird. Daher werden wir uns auch weiterhin dafür einsetzen, unserer Vision von Bildungsgerechtigkeit näher zu kommen und Schüler:innen deutschlandweit digitale, kostenfreie, qualifizierte ergänzende Bildungs- und Förderangebote zum schulischen Unterricht ermöglichen, sowie Helfer:innen eine niedrigschwellige und effektive Möglichkeit des ehrenamtlichen Engagements in der Bildungsgerechtigkeit bereitstellen.
Ein nächster großer Schritt ist die Umbenennung unserer Plattform Corona School, um die Langfristigkeit deutlich zu machen, das negativ konnotierte “Corona” aus dem Namen zu bekommen und die Nach-Corona-Phase einzuleiten. Die Umbenennung ist Mitte Mai 2021 geplant, dann erstrahlt Website und Plattform in neuem Design unter neuem Namen. Wir sind mehr als motiviert, unsere Plattform langfristig auszubauen und umfangreiches digitales Engagement möglich zu machen, um so der Vision von Bildungsgerechtigkeit stetig näher zu kommen. Wie es danach weitergeht: Wir werden sehen. Unsere Köpfe voll Motivation und guten Ideen haben wir, fehlen tut vielleicht noch eine gesicherte langfristige Finanzierung. Wir freuen uns auf jeden Fall auf die Zukunft.
Vielen Dank für das Gespräch und alles Gute!