Von „Spracharmut“ berichtete eine unserer Netzwerkteilnehmerinnen beim Auftakttreffen des Netzwerks sprachwelten.digital. Aushänge im Schulgebäude könnten nicht gelesen werden, erzählte eine Grundschulleiterin, dafür sei die Lesekompetenz und der Wortschatz nicht ausreichend. Auch aktuelle Studien wie der IQB-Bildungstrend, PISA oder die Internationale Grundschul-Lese-Untersuchung IGLU zeigen einen hohen Förderbedarf im Bereich der Lese- und Schreibkompetenz bei Kindern im Grundschulalter.
Potential der Medien sinnstiftend zunutze machen
Ein Lösungsansatz dieser Herausforderung zu begegnen, ist die multimediale Lese- und Schreibförderung. Mit kreativen Ansätzen können die Lese- und Schreibmotivation geweckt und gleichzeitig die Potenziale der Vernetzung und Teilhabe genutzt werden. Anstatt passivem Medienkonsums, wird die selbstgestaltende und kompetenzorientierte Mediennutzung gefördert und zusätzlich die Sprachkompetenz erweitert.
Fundament für gute digitalgestützte Sprachkompetenzförderung
Sprachförderung ist dann erfolgreich, wenn sie vom Kind her gedacht wird. Das bedeutet, sie ist lebensweltbezogen und dem individuellen Sprachstand angepasst.
Was für Erwachsene verlockend klingt: in Ruhe auf dem Sofa bei einer Tasse Tee ein Buch lesen, ist für Kinder meist nicht besonders einladend. Lesen und Schreiben dürfen aus der Abgeschiedenheit herausgeholt werden und zu geselligen Ereignissen werden. Dabei soll sich jede:r wohlfühlen. Kindern, denen das Vorlesen nicht so leichtfällt, sollte ein Setting ermöglicht werden, das kein Schamgefühl hervorruft, sondern Mut macht.
Gleichzeitig reicht Lesetraining in der digital vernetzten Welt allein nicht, sondern sollte von kritischem Denken begleitet werden, um beispielsweise Falschinformationen zu erkennen.
Erprobte wissenschaftsbegleitenden Ansätze für die Unterrichtspraxis
Prof. Petra Anders von der Humboldt-Universität zu Berlin bestärkt ihre angehenden Grundschullehrkräfte auf dieser Erkenntnisbasis neue Lehr- und Lernsettings mit digitalen Werkzeugen in Schulen zu erproben. Damit erweitern die Studierende ihre eigene Medienkompetenz und erwerben digitale Souveränität für ihre zukünftige Unterrichtspraxis.
So machen sie sich generative Large Language Models wie ChatGPT zunutze: Kinder werden durch die Studierenden befähigt Sachtexte zu selbstgewählten Themen erstellen zu lassen. Oft übersteigt das Ergebnis die Sprachkompetenz von Grundschulkindern. Zur objektiven Prüfung kann das Ergebnis in den sogenannten Fleschindex übertragen werden, der den objektiven Schwierigkeitsgrad der Lesbarkeit misst. Mit ChatGPT lässt sich der Text dann mit geeigneten Prompts bzw. Textanweisungen vereinfachen und in überschaubare Mini-Kapitel untererteilen.
Für einen weiteren Zugang anspruchsvolle Texte digitalgestützt und altersgerecht zu entschlüsseln, nutzen die Studierenden den Einsatz vom Memes im Deutschunterricht. Hierbei wird Medienkompetenzförderung mit Sprachförderung verbunden. Die Kinder erstellen eigene Memes zu Gedichten oder anderen klassischen Textvorlagen. Dafür nutzen sie ein kostenloses Tool zur Meme-Generierung. Die Schüler:innen veranschaulichen die im Text vermittelten Gefühle und Stimmungen mit eigenen Texten und wählen passende Bilder aus. Dadurch helfen die Memes ihre persönlichen Rezeptionserfahrungen und Deutungsversuche zu verdeutlichen.
Laut Prof. Petra Anders kann die Motivation zum Lesen und Schreiben durch Resonanz und Interaktion in der Digitalität mit eigenen Beiträgen geschaffen werden. Dafür braucht es geeignete Plattformen wie zum Beispiel Scratch.
Medienpädagogische Instrumente zur Sprachförderung in der Schule
Die Literaturpädagogin Anne Hirschfelder zeigt in ihren Fortbildungen wie Leseflüssigkeit trainiert werden kann und gleichzeitig mit der Stärkung der Mehrsprachenfähigkeit verbunden werden kann. Mit einem Hörstift, wie beispielsweise dem Tellimero, können sogenannte Silent Books von den Kindern zum Sprechen gebracht werden. Die Kinder kleben zu den ausgewählten Figuren und Objekten in den illustrierten textfreien Bilderbüchern Punkte und sprechen dazu ihre eigenen Texte ein.
Ein weiteres datenschutzkonformes Tool bedient sich dem zeigemäßen Social-Media-Format, das als Schreibanregung bereits in der Grundstufe genutzt werden kann. Auf der Webseite https://zeoob.com/ lassen sich fiktive Posts und Chats generieren, die das Erscheinungsbild der üblichen Plattformen wie Instagram, Snapchat oder X simuliert. So können beispielsweise Kurzberichte von Klassenausflügen oder Posts aus Sicht einer Figur aus unterrichtsrelevanten Literaturvorlagen erstellt werden. Dieses Werkzeug eignet sich aber auch den kritischen Umgang mit Falschinformationen in sozialen Netzwerken zu thematisieren.
Wer Kinder selbst zum Geschichtenschreiben motivieren möchte, dem empfiehlt Anne Hirschfelder als Einstieg das beliebte Comic-Format. Mit dem Tool Comic Life können anhand von Vorlagen selbstgeschriebene Texte und Bilder in eigenen Comics eingebunden werden. Dieser niedrigschwellige und kreative Zugang erleichtert das Lesen und Schreiben und kann gleichzeitig als interaktive Gruppenarbeit durchgeführt werden. Comics eigenen sich aber auch als Beitragsformat für Schulzeitungen. Dabei können sie die Teilhabe in der Schulgemeinschaft über positive Schreiberfahrungen unterstützen und die Lesemotivation der Kinder fördern. Das JFF-Institut für Medienpädagogik hat hier ein kleines Tutorial dazu erstellt: https://kinder.jff.de/project/comics-erstellen/
Zum Hintergrund
Anlass diese Praxisideen aufzubereiten, war der Auftakt unseres neuen Labor-Netzwerkes sprachwelten.digital Dazu haben wir Expertinnen aus Praxis und Forschung eingeladen. Prof. Petra Anders von der Humboldt-Universität zu Berlin bereicherte den Erfahrungsausaustausch mit Projekteinblicken mit Studierenden in Schule. Die Literaturpädagogin Anne Hirschfelder zeigte den Netzwerkteilnehmerinnen „Hands-On“, wie kreative Anreize für Lese- und Schreibanlässe dank digitaler Medien geschaffen werden können.