1 I Die Ebene der Inhalte
Die Standardsituation des Lernens in der Schule ist hier immer noch, dass es ein Schulbuch gibt, das zur Vermittlung von vorgegebenen Inhalten verwendet wird. Es ist nicht erwünscht, dass Lehrkräfte in solchen Schulbüchern Bilder überkleben, Seiten herausreißen oder zusätzliche Seiten reintackern. Ebenso wenig ist vorgesehen, dass Lernende in den Schulbüchern herumkritzeln und ihre Anmerkungen ergänzen. Während man diese Perspektive bei analogen Materialien bis zu einem gewissen Grad noch nachvollziehen kann, wären solche Beschränkungen bei digitalen Materialien nicht mehr nötig. Denn sie ließen sich problemlos überarbeiten und erweitern, ohne dass die jeweiligen Originale in Gefahr liefen, unbenutzbar zu werden. Trotzdem überwiegen auch bei digitalen Materialien die Schulbuch-Regeln – und das längst nicht nur in der Schule, sondern ebenso auch in den anderen Bildungsbereichen: Der Inhalt ist fertig; an ihm wird nichts geändert! Wer in dieser Situation zu einer Kultur des Teilens kommen will, sollte nicht mit einem Appell zu einem offenen Mindset beginnen. Stattdessen gilt es, Inhalte so zur Verfügung zu stellen, dass sie eine permanente Einladung, wenn nicht gar Aufforderung zum Überarbeiten und in diesem Sinne auch zur Weiterentwicklung sind. Möglich ist das mit so genannten Open Educational Resources (OER). Bei OER handelt es sich um Bildungsinhalte, die dank offener Lizenz und offenen Formaten nicht fertig, sondern immer weiter bearbeitbar sind. Lehrende wie Lernende sind auf diese Weise herausgefordert die Inhalte nicht nur zu konsumieren, sondern mit ihnen zu arbeiten, sie weiter zu entwickeln und dann wiederum zu teilen.
2 I Die Lernräume
Bei den Lernräumen haben wir es mit einer ähnlichen Situation zu tun wie bei den Lerninhalten. Die meisten Bildungsräume sind starr und wenig veränderbar. Es gibt zu diesem Thema schöne Memes im Internet, die Klassenzimmer von vor 100 Jahren und von heute zeigen. Man stellt fest, dass sich bis auf die ersetzte Schiefertafel eigentlich nichts verändert hat. Auch Online-Lernen findet meist in solch einem Setting statt: Es gibt eine Videokonferenz, in der eine Person etwas präsentiert. Die anderen sitzen zwar nicht in Reihen, sondern an jeweils eigenen Schreibtischen, eine Interaktion untereinander ist aber genauso wenig vorgesehen wie im früheren Klassenraum. Diese schulische Lernsituation wird auch in anderen Bildungsbereichen reproduziert. Sie findet sich auch dann wieder, wenn lehrende Personen z. B. im Rahmen von Fort- und Weiterbildung in die Rolle von lernenden Personen wechseln. Überall folgt daraus gleichermaßen, dass in solchen Räumen keine Kultur des Teilens entsteht. Solche Räume zielen auf isoliertes Lernen, nicht auf kollaboratives Lernen. Dass es auch anders gehen kann, beweisen längst zahlreiche Lernorte, die ein offenes Raumkonzept umsetzen. Hier gibt es weiterhin individuelle Arbeitsplätze, aber ebenso auch Platz für Austausch und Rückzug. Solche Räume sind eine Einladung, Verantwortung für das eigene Lernen zu übernehmen und es aktiv zu gestalten. Auf dieser Grundlage kann sich dann auch eine Kultur des Teilens entwickeln.
3 I Die Formate des Lernens
Hier ist die Standardsituation immer noch der Unterricht, in dem Inhalte von lehrenden Personen an lernende Personen vermittelt werden. Außerhalb der Schule ist die Begrifflichkeit zum Teil eine andere. Das Konzept bleibt aber das gleiche. Eine Haltung der Offenheit muss hier zwangsläufig verkümmern, denn die Lernprozesse selbst sind geschlossen und lassen keinen Raum zur eigenen Entwicklung. Das Gegenstück wäre, dass Lernen von den Lernenden ausgeht. Sie sollten ihre Fragen, Interessen und Bedürfnisse einbringen können, sich in den Austausch mit anderen begeben und bei der Gestaltung ihrer Lernprozesse unterstützt und begleitet werden. In der Reformpädagogik wird solch ein Ansatz mit dem forschenden oder projektorientierten Lernen schon lange umgesetzt. An diesen Beispielen sollten man sich orientieren, um Praxis zu ermöglichen, in der sich eine Haltung der Offenheit entwickeln kann.
Mein Fazit: Natürlich gelingt eine Kultur des Teilens nur mit einer Haltung von Offenheit. Wenn wir diese Erfordernis aber zum Ausgangspunkt der Gestaltung nehmen, drehen wir uns im Kreis. Stattdessen gilt es, Strukturen zu verändern und teilende Praxis zu ermöglichen. Dann besteht die Chance, dass Lehrende und Lernende Schritt für Schritt auch eine Haltung von Offenheit entwickeln und die Realisierung einer Kultur des Teilens immer besser gelingt.