© Tandem 3 (Ferro GmbH — Paul-Ehrlich-Schule Frankfurt)
Im Interview berichten die Mitglieder des Tandems Ferro GmbH — Paul-Ehrlich-Schule Frankfurt von gelungenen Videodrehs, aber auch Hürden der Kooperation. Für die Paul-Ehrlich-Schule nahmen die Lehrkräfte Thomas Ostermann und Viviane Hoßfeld teil, für die Ferro GmbH der Ausbilder Christian Hief.
In welchem Fachbereich ist Ihr Tandem aktiv?
Thomas Ostermann (TO): Das Projekt bezieht sich auf die Ausbildung der Chemielaborant:innen. Diese werden blockweise unterrichtet: zwei Wochen Schule und vier Wochen Betrieb im Wechsel.
Was motiviert Sie, sich im Themenfeld „Stärkung der Lernort-Kooperation mit digitalen Ansätzen“ zu engagieren?
TO: Wir wollten uns intensiver mit dem Thema Digitalisierung beschäftigen und gleichzeitig die Zusammenarbeit mit dem Betrieb vertiefen. Das Projekt war ein guter Start für beide Vorhaben – die durch Corona noch einmal mehr Anschwung bekommen haben.
Christian Hief (CH): Die Lernort-Kooperation ist ein sehr wichtiger Teil der dualen Ausbildung, sie verknüpft die Theorie mit der Praxis. Wir sind ein vergleichsweise kleiner Betrieb, so dass Hybrid- oder Fernunterricht vor dem Projektstart noch in weiter Ferne lagen. Doch dann kam Corona als Katalysator und wir nahmen das Projekt zum Anlass, diese Themen aktiv anzugehen.
Wie lautete das Projektvorhaben, das sie zu Beginn formuliert haben?
TO: Etabliert werden sollte eine Plattform, die uns bei der Vermittlung der Inhalte und beim lernortübergreifenden Austausch unterstützt. Mithilfe individueller Lernvideos sollten die Themen der Berufsschule gefestigt werden.
CH: Bezüglich der digitalen Austauschplattform haben wir schnell gesehen, dass dies in unserem Tandem aus Datenschutzgründen nicht so einfach möglich ist – da hätten wir zu dicke Bretter bohren müssen. So haben wir uns letztendlich auf die Lernvideos konzentriert.
Was haben Sie sich von den Videos versprochen?
TO: Wenn die Schüler:innen bei den Abschlussprüfungen ihre praktischen Fähigkeiten bei den Experimenten zeigen müssen, machen sie oft typische Fehler immer wieder – obwohl alles vielmals geübt wurde. Mithilfe der Lernvideos, welche sie im Betrieb selbst aufnehmen, wollten wir deren Motivation erhöhen und dafür sorgen, dass wichtige Dinge bei den Experimenten nicht in Vergessenheit geraten und noch stärker in Fleisch und Blut übergehen.
Gibt es konkrete Erfolge, von denen Sie erzählen können?
TO: Die Schüler:innen haben die Videos selbst gedreht und geschnitten, die meisten waren motiviert bei der Sache. So haben sie nicht nur die Experimente, die bei den Prüfungen drankommen, besser verinnerlicht, sondern konnten sich auch selbst, quasi aus einer Meta-Ebene, beobachten und im Nachhinein wichtige Aspekte zur Durchführung der Experimente besprechen.
CH: Für die Videos haben wir bewusst Prüfungsthemen gewählt, damit die Auszubildenden direkt einen Mehrwert in dieser Aufgabe sehen. So haben sie sich beispielsweise bei der Darstellung eines organischen Präparats gefilmt. Dies wurde zunächst im Vorfeld in der Schule besprochen, die filmische Umsetzung fand dann im Labor der Firma statt. Abschließend erfolgte im Unterricht eine gemeinsame Sichtung und Reflexion: Wo haben sich handwerkliche Fehler eingeschlichen? Was hat gut funktioniert?
Wie ist das Projekt bei den Schüler:innen angekommen?
CH: Sie haben schnell gemerkt, dass es recht einfach ist, niedrigschwellige Videos aufzunehmen. Einige steckten viel Zeit und Arbeit in die Videoproduktion, woraufhin sehr lange Filme entstanden sind, in welchen aber oft nicht viel passiert ist. Einige Auszubildende hatten offensichtlich Schwierigkeiten, ihre Filme gut zu strukturieren und sich auf Kerninhalte zu konzentrieren.
Viviane Hoßfeld (VH): Ehrlich gesagt dachten wir, dass die Auszubildenden zu einer Generation gehören, die öfter mal kurze Videos im Internet schaut, um sich Dinge erklären zu lassen. Daher hatten wir eigentlich kürzere Filme erwartet, mussten uns aber eines Besseren belehren lassen.
TO: Auch wenn der Produzierende eigentlich eine gute filmische Darstellung getroffen hat, so haben viele Schüler:innen beim Anschauen nicht genau verstanden, worum es in dem Experiment eigentlich ging. All das haben wir im Nachgang besprochen. Daraus haben wir für uns selbst gelernt, dass wir die Aufgabenstellung das nächste Mal vereinfachen und uns auf konkrete Punkte beschränken müssen.
Gab es auch organisatorische Hürden?
VH: Wir haben, wie schon erwähnt, leider keine gemeinsame Plattform, auf die alle zugreifen können. Daher liegen die Videos auf zwei verschiedenen Servern, einmal in der Schule und einmal im Betrieb.
TO: Der Zugriff auf die Filme ist noch nicht für alle uneingeschränkt möglich. Bisher können hauptsächlich Lehrkräfte auf die Videos zugreifen und diese dann den Schüler:innen zur Verfügung stellen. Andersherum müssen wir bei der Gestaltung der Lerninhalte warten, bis die Auszubildenden bestimmte filmische Projekte beendet und uns zur Verfügung gestellt haben.
Was sind (möglicherweise auch unerwartete) positive Wirkungen?
CH: Wir haben gelernt, dass man bestimmte Dinge nicht als selbstverständlich voraussetzen kann – wie beispielsweise die Herangehensweise der Schüler:innen an die Filminhalte. Durch das Projekt haben wir uns noch stärker in die Denkweise der Auszubildenden hineinversetzt und konnten so erkennen, an welchen Stellen wir mehr Input geben müssen.
VH: Mit jedem Durchgang sind die Beteiligten immer strukturierter vorgegangen, haben den Schüler:innen einen besseren Rahmen gegeben, so dass die Umsetzung für sie einfacher wurde. Ich persönlich erhielt durch das Filmprojekt außerdem einen guten Einblick in die Arbeitsweise eines Betriebs.
TO: Die Videos gaben uns einen guten Eindruck von der praktischen Ausbildung. Zwar wäre ich gerne auch mal persönlich vor Ort gewesen, aber das war wegen Corona nicht möglich. Dennoch habe ich über die Filme wertvolle Einblicke in den Betrieb erhalten. Wir haben gemeinsam mit den Schüler:innen gelernt und uns mit Fragen beschäftigt, wie: Wie können wir das Projekt einfacher gestalten? Wie führen wir die Auszubildenden stärker an ein Thema heran? Letztendlich haben alle Seiten profitiert und mehr Verständnis füreinander erworben.
CH: Vor dem Projekt habe ich mir nicht so viele Gedanken darüber gemacht, wie die Lehrenden arbeiten, worauf sie inhaltlich eingehen können oder wann sie Zeit haben. Durch den gemeinsamen Austausch habe ich einen neuen Blickwinkel dazugewonnen und kann nun die Herausforderungen der Lehrkräfte besser verstehen.
Wie geht es mit dem Projektvorhaben nach der Netzwerk-Teilnahme weiter?
CH: Das Projekt wird nicht auslaufen. Zwar schließt sich nach den zwei Jahren gewissermaßen ein Kreis, aber wir werden neue Themen bearbeiten und das Ganze in den folgenden Ausbildungsjahren im Fluss halten. So bekommen wir über die Jahre ein schönes Portfolio, das allen Auszubildenden zugutekommt.
VH: Wir wollen die Filme zusätzlich mit Texten beschreiben, so dass sie auch kontextbezogen leichter zu finden sind. Mit zusätzlichen Videos ergeben sich noch mehr Möglichkeiten, die Filme im Unterricht aufzugreifen und die Arbeit von Schule und Betrieb weiter zu verzahnen.
TO: Wir werden schauen, bei welchen Themen und bei welchen Kooperationspartnern sich eine filmische Umsetzung eignet. Die Themen der Ferro GmbH passen inhaltlich gut, andere Firmen haben andere Schwerpunkte. So lässt sich beispielsweise Analytik nicht so gut filmisch darstellen. Es ist wichtig, dass die Videos mit den Ausbildungsinhalten korrelieren.
Welche Rahmenbedingungen brauchen Projekte wie Ihres, um erfolgreich durch- und fortgeführt zu werden?
TO: Eine zentrale Voraussetzung ist die Vereinbarkeit mit dem Datenschutz, was in unserem Projekt zum Hindernis wurde. Außerdem brauchen die Lehrkräfte und Schüler:innen auch die entsprechende Hard- und Software, um die Projekte umzusetzen, ohne die privaten Geräte nutzen zu müssen. Außerdem fehlt es an vielen Schulen oft an Personal, dass sich mit IT auskennt, die Geräte wartet und Schüler:innen auch bei Problemen mit dem WLAN helfen kann.
VH: Manchmal brauchen auch Lehrkräfte Unterstützung mit digitalen Geräten. Wegen des Datenschutzes machen Betrieb und Schule außerdem noch zu sehr „ihr eigenes Ding“, da muss man schauen, wie man auf einen gemeinsamen Nenner kommt.
CH: Die Voraussetzungen für die Schulen sind nicht optimal, jede schulische Einrichtung ist in Sachen Datenschutz auf sich allein gestellt. Sinnvollerweise müsste das Land bei der Umsetzung dieser Vorgaben besser unterstützen. Wenn es umfassende Plattform-Lösungen gäbe, müsste nicht jede schulische Einrichtung oder Lehrkraft so viel Energie in dieses Thema stecken und könnte mehr Kapazitäten in Inhalte investieren, welche Schüler:innen auch einen Mehrwert bieten.
Wie kam es, dass Sie ein Tandem wurden und wie haben Sie sich organisiert?
CH: Wir standen schon vor dem Projekt im Austausch, aber die Unterrichtsinhalte haben wir meist isoliert voneinander vermittelt. Das liegt daran, dass nur ein Teil der Schüler:innen einer Klasse bei uns im Betrieb sind. Die Lernortkooperation war neu für uns.
TO: Wir konnten uns auf kurzem Wege immer recht spontan absprechen oder Videocalls vereinbaren, spezielle feste Termine hatten wir nicht.
CH: Wegen Corona war es schwierig, sich zu treffen, leider können Videocalls die physischen Besuche nicht ganz ersetzen. Dennoch standen wir im regen Austausch. Bei unterschiedlichen Meinungen konnten wir erfolgreich einen Konsens finden und dann weiter arbeiten.
Was wollen Sie auch in Zukunft beibehalten?
TO: Wir wollen den intensiveren Umgang, den wir durch das Projekt gewonnen haben, weiter fortführen und uns auch unabhängig davon öfter sehen und austauschen.
Was können Sie anderen Berufsschulen und Ausbildungsunternehmen für die Gestaltung der Lernort-Kooperation empfehlen?
CH: Gerade zu Beginn einer Kooperation sollte man vom Kleinen ins Große starten. Also schauen, welche Projekte in einem oder zwei Schuljahren überhaupt umsetzbar sind. Dabei ist es auch wichtig, sich realistische Meilensteine zu setzen, die Verantwortlichkeiten klar zu vergeben und dann auch einzelne, kleine Schritte und Errungenschaften wertzuschätzen.
TO: Man sollte beharrlich und neugierig sein, oft scheitern Projekte schon an der Überlegung, ob die andere Seite überhaupt Zeit hat. Aber Anfragen kostet nichts, man kann seine Ideen äußern und sich nach der Machbarkeit erkundigen. Schon dadurch arbeitet man konstruktiv miteinander. Es braucht diesen Anstoß im Kleinen – erst danach kann ein Projekt auch größer werden.
Wie bewerten Sie rückblickend Ihre Teilnahme an den Veranstaltungen und an dem Projekt #HESSENbildung.digital?
TO: Die Projektarbeit und die Treffen waren sehr zeitintensiv, bei Interesse muss man sich gut organisieren, um alles zusätzlich zum Unterricht zu erledigen.
VH: Man muss bereit sein, sich weiterzubilden und dafür auch Freizeit zu investieren. Insbesondere bei den Veranstaltungen wären halbe Präsenztage einfacher in den Tagesablauf zu integrieren gewesen. Organisatorisch und thematisch waren die Initiator:innen des Projekts sehr breit und gut aufgestellt.
CH: Es waren persönlich sehr bereichernde zwei Jahre. Ich habe einen besseren Blick auf die Arbeit in der Schule und viele neue Informationen aus den Netzwerktreffen gewonnen. Außerdem habe ich gesehen, dass alle Betriebe – ob große Firma oder KMU – ähnliche Hindernisse haben. Die Organisator:innen nutzten unsere Kritik und Wünsche aus dem ersten Netzwerktreffen, um bei den nachfolgenden Treffen entsprechende Seminare anzubieten. Viele Informationen aus den Webinaren können wir unabhängig von der Lernortkooperation für unsere Firma nutzen.