Was hat kooperative Professionalität mit schulischen Wissensflüssen zu tun? Welche Voraussetzungen sollten dafür geschaffen werden? Und welche Rolle spielen dabei die Schüler:innen? Darüber haben wir mit Prof. Dr. Britta Klopsch gesprochen. Seit 2020 ist sie Professorin für Schulpädagogik am Karlsruher Institut für Technologie (KIT) und hat gemeinsam mit Anne Sliwka das Buch „Kooperative Professionalität: Internationale Ansätze der ko-konstruktiven Unterrichtsentwicklung“ veröffentlicht.
Kooperative Professionalität bezeichnet eine hochwertige Form der Zusammenarbeit zwischen Lehrkräften. Sie entsteht, wenn schulische Akteur:innen ihr Wissen, ihre Erfahrungen und ihre Expertise teilen, gemeinsam Entscheidungen treffen und Probleme lösen. Dieses wechselseitige Lernen fördert nicht nur den Lernerfolg der Schüler:innen, sondern stärkt auch die Unterrichtsentwicklung und den schulischen Wissensaustausch – und trägt so maßgeblich zur Weiterentwicklung der Schule bei.
Gemeinsam statt allein: Entlastung durch Kooperation
Damit Kooperationen im Schulalltag tatsächlich funktionieren und von Lehrkräften als gewinnbringend wahrgenommen werden, ist es essenziell, sie gezielt anzuleiten und Arbeitsprozesse auch einzuüben. „Zu erwarten, dass Lehrkräfte kooperieren, ohne dass ihnen eine konkrete Aufgabe zur Zusammenarbeit gegeben wird, führt oftmals zu einem erhöhten Zeitaufwand, der am Ende nicht viel Entlastung oder Weiterentwicklung bringt“, betont Britta Klopsch. Stattdessen brauche es präzise Aufgaben oder konkrete Fragestellungen, die gemeinsam mit den Kolleg:innen bearbeitet werden. Dabei sei es wichtig, so Britta Klopsch weiter, schrittweise vorzugehen und nicht von Anfang an zu viel zu erwarten. „Am besten fängt man damit an, sich zu überlegen, an welcher Stelle der unmittelbare Nutzen am größten ist, wenn ich mit jemandem zusammenarbeite. Das kann im Kleinen damit anfangen, dass wir uns gemeinsam über Arbeitsmaterialien oder Ideen austauschen. Eine andere Form könnte auch sein, dass wir verschränkt miteinander arbeiten, indem wir zum Beispiel gemeinsam Klassenarbeiten vorbereiten, während wir bei der Ko-Konstruktion etwa auch gemeinsam Dinge entwickeln können.“ Dass Anreize für Kooperationen geschaffen werden müssen, steht für Britta Klopsch außer Frage.
„Lehrkräfte werden nur dann kooperieren, wenn sie davon einen direkten Nutzen verspüren. Dafür braucht es Strukturen.“
Entscheidend seien feste Räume und Zeiten für die Zusammenarbeit – dazu könnten auch gemeinsame Freistunden gehören, die bereits bei der Stundenplanung berücksichtigt werden.
Kooperation sollte jedoch nicht nur zwischen Lehrkräften stattfinden, sondern das gesamte Schulsystem durchdringen, wie Britta Klopsch betont. „Ich halte es für wichtig, dass die einzelnen Ebenen im Schulsystem besser miteinander verzahnt werden. Dass beispielsweise die Schulaufsicht genau weiß: Woran arbeitet die Einzelschule, und wie kann ich sie dabei unterstützen? Und dass die Schulaufsicht gleichzeitig versteht, welche Ziele das Ministerium verfolgt.“ Durch eine stärkere horizontale und vertikale Vernetzung der verschiedenen Ebenen sowie eine gezielte Zusammenarbeit könne gegenseitige Unterstützung effektiver gestaltet werden. Auch die Kooperation mit Eltern dürfe dabei nicht außer Acht gelassen werden, so Britta Klopsch. Die strategische Verzahnung aller beteiligten Ebenen wird auch in ihrer Publikation mit Anne Sliwka „Das lernende Schulsystem – Paradigmenwechsel in der Bildung“ praxisnah verdeutlicht.
Gemeinsame Ziele sind die Grundlage
Damit die Motivation und das Engagement der Lehrkräfte bei der Zusammenarbeit nicht schon zu Beginn verloren geht, braucht es ein gemeinsames Ziel, so Britta Klopsch. Idealerweise entsteht dabei eine enge Verzahnung zwischen den verschiedenen Ebenen: Die Schulen sollten dieselben Ziele verfolgen wie das Bildungssystem – und umgekehrt. Britta Klopsch betont: „Wir brauchen ein gemeinsames Ziel für das Schulsystem, dem wir uns alle gemeinsam verschreiben können. Das Ziel darf jedoch nicht zu groß und diffus sein, sondern so konkret und präzise wie möglich. Die einzelnen Schulen und Lehrkräfte sollten sich außerdem so verorten können, dass es zur Situation vor Ort passt.“
In ihrem gemeinsam mit Anne Sliwka veröffentlichten Buch greifen die beiden Expertinnen drei zentrale Ziele für das Bildungssystem auf: Chancengerechtigkeit für alle Schüler:innen, Wellbeing und Persönlichkeitsentwicklung sowie die Leistungsentwicklung. Allerdings, so Klopsch im Gespräch, könnten Schulen nicht alle drei Ziele gleichzeitig verfolgen. Stattdessen sei es wichtig, individuell zu analysieren, wo die eigene Schule steht, welche Herausforderungen bestehen und welchem Ziel sie sich prioritär widmen möchte. Ebenso entscheidend sei es, diese Ziele in konkrete Handlungsschritte zu übersetzen. Schulen sollten prüfen, was jede:r Einzelne tun kann, um zum Erreichen des gewählten Ziels beizutragen, und welche nächsten Schritte notwendig sind.
„Wenn man über solch professionelle Anlässe mit den anderen Lehrkräften ins Gespräch kommt, dann können sich gemeinsam Lernprozesse entwickeln“, so Britta Klopsch.
Die Akzeptanz im Kollegium sei deutlich größer, wenn gemeinsam darüber entschieden werde, welche Veränderungen vorgenommen werden sollen. Besonders hilfreich sei die Bildung von Teams mit Wissensmanager:innen, die relevante Informationen und Daten erheben, für die Kolleg:innen aufbereiten und darauf aufbauend weitere Schritte entwickeln könnten. Wichtig sei jedoch, so Britta Klopsch weiter, allen im Kollegium die Möglichkeit zur Teilnahme zu eröffnen – ohne feste Anordnung seitens der Schulleitung. Gerade verpflichtende Anweisungen könnten sonst Motivation und Engagement hemmen.
Überzeugung als Motor für Veränderung
„Wir sehen auch, dass das Schüler:innenlernen durch Kooperationen besser wird. Wenn Unterricht beispielsweise gemeinsam vorbereitet wird, ist dieser meist auch facettenreicher und stärker auf das individuelle Lernen der Schüler:innen abgestimmt“, erklärt Britta Klopsch. In der gemeinsamen Planung stehe weniger die Struktur oder der Aufbau des Unterrichts im Vordergrund, sondern vielmehr die Frage, welchen konkreten Zugewinn einzelne Schüler:innen aus der Stunde ziehen können.
Daraus erwächst die Erfahrung von kollektiver Wirksamkeit seitens der Lehrkräfte. Sie beschreibt das gemeinsame Gefühl einer Gruppe, tatsächlich etwas bewirken zu können – und sich aktiv dafür einzusetzen, das Lernen zu verbessern. Studien wie die Hattie-Studie bestätigen diesen Ansatz und zeigen den enormen Einfluss kollektiver Wirksamkeit auf den Lernerfolg der Schüler:innen. Dieser Effekt, so Britta Klopsch, habe einen psychologischen Hintergrund: Wenn Lehrkräfte überzeugt sind, dass sie das Lernen ihrer Schüler:innen positiv beeinflussen können, dann wird sich ihr Verhalten entsprechend ändern. Umgekehrt gelte jedoch auch: Fehlt dieses Vertrauen in die eigene Wirksamkeit, bleibt die Bereitschaft zur Veränderung gering.
Auch die eigene Haltung spielt dabei eine zentrale Rolle. Lehrkräfte, die mit einer positiven Grundhaltung an Aufgaben herangehen und davon überzeugt sind, dass gemeinsam entwickelte Konzepte funktionieren, tragen diese Überzeugung auch an ihre Schüler:innen weiter. „Machen wir Dinge, weil sie uns aufgedrängt wurden oder wir gar gezwungen sind zu kooperieren, dann werden wir sicherlich viel weniger Effekte erzielen, als wenn wir Dinge tun, weil wir daran glauben.“
Die Schulleitung: Mit der richtigen Haltung die Kooperation stärken
Die Schulleitung ist in diesem Prozess keine unbeteiligte Beobachterin – im Gegenteil. Sie sollte die gewünschte Haltung aktiv vorleben. Britta Klopsch betont:
„Schulleitungen müssen wegkommen von Kontrolle, hin zu einer unterstützenden Haltung.“
Eine zu enge Überwachung schulischer Kooperationen könne die Motivation der Lehrkräfte frühzeitig ersticken. Stattdessen sollte die Schulleitung den Lehrkräften mehr Autonomie zugestehen und bei Herausforderungen gezielt unterstützen – etwa durch die Bereitstellung relevanter Informationen, den Einbezug externer Expert:innen oder die Förderung der Vernetzung mit anderen Schulen und Institutionen. Eine veränderte Führungsrolle und -kultur sei in diesem Zusammenhang nicht nur notwendig, sondern ausdrücklich wünschenswert.
Damit Kooperationen im Kollegium erfolgreich sind, muss zudem Vertrauen aufgebaut werden – und genau das sei die größte Herausforderung, so Britta Klopsch. Denn Vertrauen lässt sich nicht verordnen, es muss wachsen. Hierfür brauche es geeignete Strukturen, die Lehrkräfte in den Austausch bringen und Zusammenarbeit fördern. Vertrauen dürfe jedoch nicht mit Freundschaft gleichgesetzt werden. Britta Klopsch erklärt: „Vertrauen bedeutet, dass ich auch mit Menschen, mit denen ich vielleicht gar nicht befreundet sein möchte, auf professioneller Ebene trotzdem gut zusammenarbeiten kann.“
Die Lernenden aktiv einbeziehen
Eine wichtige Facette kooperativer Professionalität ist auch die Einbeziehung der Schüler:innen. „Lernen funktioniert so, dass ich als Lehrkraft das bestmögliche Angebot mache, es aber von den Schüler:innen auch abgeholt werden muss. Es kann also durchaus sein, dass ich zwar ein sehr gutes Lernangebot schaffe, dieses von den Schüler:innen aber nicht abgeholt wird, weil ich eine andere Vorstellung davon habe, wie Lernen funktioniert. Die Schüler:innen stehen vielleicht an einem ganz anderen Punkt und haben andere Lernbedürfnisse.“ Gerade deshalb sei es wichtig, mit den Schüler:innen ins Gespräch zu kommen, um herauszufinden, wie Lernen tatsächlich funktioniert.
Auch im Sinne des lebenslangen Lernens sei es entscheidend, zu verstehen und zu verinnerlichen, wer man selbst ist und wie man am besten lernt. „Der Sinn von Schule sollte nicht sein, Dinge nur gut auswendig lernen zu können. Wir müssen uns als Lehrer:innenschaft darüber klar werden, was das große Ganze unserer Bildung ist. Was sollen die Schüler:innen am Ende können, wenn sie die Schule verlassen? Wenn man darüber mit Lehrkräften ins Gespräch kommt, ist es selten das rein Fachliche, auf das Wert gelegt wird. Stattdessen sind es Kompetenzen wie das lebenslange Lernen, das kritische Denken oder auch die Kooperationsfähigkeit, über die dann gesprochen wird.“
Schule und vor allem der Unterricht können nur dann wirklich verändert werden, wenn auch die Perspektive der jungen Menschen berücksichtigt wird. „Wenn im gemeinsamen Gespräch mit den Schüler:innen beispielsweise herauskommen würde, dass sich diese über Lernvideos gern Inhalte aneignen, dann kann ich als Lehrkraft ja schauen, dass ich Videos mit unterschiedlichen Niveaustufen nutze,“ erklärt Britta Klopsch. Dieses Wissen kann auch in die Art der Leistungserbringung einfließen. Wichtig sei es, die Lernwege transparent zu machen und gemeinsam mit den Schüler:innen zu überlegen, wie die Kompetenzen und das fachliche Wissen eines Themas am Ende des Lernprozesses abgefragt werden können. Diese aktive Beteiligung, so Britta Klopsch, habe erheblichen Einfluss darauf, dass die Schüler:innen das Gefühl haben, der Lernprozess habe auch etwas mit ihnen zu tun.