Wie verändert Virtual Reality die pädagogische Arbeit mit Jugendlichen und was kann Schule oder außerschulische Bildung konkret daraus lernen?
Benjamin Holm: Ganz ehrlich: Wir stehen selbst noch am Anfang dieser Reise. Play it forward versteht sich als ein exploratives Projekt. Unser Ziel ist es, neue Räume für internationalen Jugend- und Schüleraustausch zu erkunden. Dabei erleben wir: Jugendliche bringen oft eine hohe IT-Kompetenz und intuitive Mediennutzung mit. In unseren Formaten begegnen sie den Erwachsenen – ob Lehrkraft oder Teamer:in – häufig auf Augenhöhe. Diese Verschiebung ist spannend: Pädagogische Beziehungen verschieben sich, Co-Kreation rückt in den Fokus. In VR müssen wir als Fachkräfte eher begleiten, ermöglichen, reflektieren – nicht mehr (nur) anleiten. Das gilt besonders im Austausch: Wenn Jugendliche aus verschiedenen Ländern gemeinsam ein VR-Rätsel lösen oder in einer virtuellen Umgebung improvisieren, entsteht ein tiefes, gemeinsames Erlebnis – und das über Sprach- und Ländergrenzen hinweg.
Gaming als ein pädagogisches Werkzeug: Wie gelingt es, junge Menschen nicht nur zu unterhalten, sondern zum Mitgestalten und Reflektieren zu bewegen – gerade im internationalen Kontext?
B. H.: Im internationalen Austausch setzen wir VR nicht als Ersatz, sondern als kreativen Möglichkeitsraum ein. In unseren getesteten Umgebungen können Jugendliche z. B. zusammen einen Berg besteigen, sich in einem Charade-Spiel kulturell kennenlernen oder als Team ein interaktives Story-Rätsel lösen – jede:r bringt etwas ein, Sprache wird zur Brücke, Humor verbindet. Diese Formate fördern nicht nur Engagement, sondern auch interkulturelle Reflexion. Wer war mutig? Wer hat moderiert? Welche Missverständnisse gab’s – und was sagen die über unsere Perspektiven aus? Solche Spiele wirken wie Türöffner: Sie bringen Bewegung in die Gruppen, aber auch Tiefe in die Reflexion. Unser Ziel ist es, Lernen durch Erfahrung zu ermöglichen – mit einem klaren Fokus auf Partizipation, Beziehung und Empowerment im Austausch.
Internationale Begegnung virtuell: Welche Erfahrungen haben Sie mit Projekten wie play it forward gemacht – und was braucht es, damit solche digitalen Austauschformate nachhaltig wirken?
B. H.: Unsere wichtigste Erkenntnis: VR kann internationale Begegnung nicht ersetzen, aber wunderbar ergänzen. Wir denken nicht in entweder-oder, sondern in sowohl als auch. Unser Ansatz ist ein hybrider Jugendaustausch, in dem digitale und reale Räume ineinandergreifen. Ein Beispiel: Gruppen, die sich bald analog treffen, erleben vorher gemeinsam ein VR-Abenteuer: Sie lernen sich kennen, bauen Vertrauen auf, haben schon gemeinsame Erlebnisse im Gepäck. Oder andersherum: Nach einer realen Begegnung bleiben Gruppen durch VR länger in Kontakt, z. B. in monatlichen Mini-Sessions mit Spielen oder Diskussionen. Damit das funktioniert, braucht es drei Dinge:
- Einen Zugang: VR muss niederschwellig erfahrbar sein (Leihbrillen, einfache Tools).
- Eine pädagogische Einbettung: die Technik ist Mittel, nicht Selbstzweck.
- Kreativität: der Austausch lebt von gemeinsamem Tun, nicht vom „Bespaßen“.
Genau da probieren wir gerade viel aus und laden andere ein, mit uns neue Wege zu gehen.
Benjamin Holm hat Kulturwissenschaften und Ästhetische Praxis in Hildesheim studiert und arbeitet seit 2006 als Referatsleiter Innovation und Qualitätsentwicklung in der Stiftung Deutsch Russischer Jugendaustausch (DRJA).