Welche Potenziale sehen Sie in der Gamification für das Lernen im Unterricht – insbesondere mit Blick auf Motivation, Teilhabe und Kompetenzerwerb von Schüler:innen?
Andreas Hedrich: Spielen ist die Grundlage des Lernens – und Lernen ist immer ein spielerischer Vorgang. Wir probieren vom ersten Moment unseres Lebens Dinge aus, bringen sie in neue Zusammenhänge und versuchen, sie neu und stets spielerisch zu verwenden. Im Umkehrschluss könnte das bedeuten: Je mehr wir dies in unterrichtlichen Kontexten aufgreifen, desto leichter wird das Lernen. In der Schule wird dies bereits berücksichtigt. Spielerische Ansätze, egal ob in Bewegung, als Rollenspiel oder im Wettbewerb, sind stets Teil des Unterrichts. Allerdings ist diese Form natürlich nicht immer vollkommen frei – so wie wir normalerweise neue Zusammenhänge erschließen –, sondern vorgegeben. Gamification ist zunächst ein Begriff, der nicht eindeutig definiert ist. Wenn sich der Begriff auf den Einsatz digitaler Spielformen bezieht, z. B. Spiele, Rollenspiele im digitalen Raum oder Lernspiele, kann dies eine sinnvolle Erweiterung des vorhandenen Methodenrepertoirs sein und kurzfristig die Motivation steigern. Von zentraler Bedeutung ist jedoch immer das Gesamtkonzept eines Unterrichts: Wie werden Methoden eingebunden? Wie nutzt eine Lehrkraft diese Ansätze und welche Freiräume werden dabei geschaffen, um Motivation zu fördern, Partizipation zu ermöglichen und Kompetenzen zu erwerben? Digitale Elemente können dabei hilfreich sein, sind jedoch kein Selbstläufer. Die Potenziale liegen nicht allein in den Spielen, Tools und Apps, sondern vor allem bei Lehrkräften und Schülerinnen und Schülern.
Wie gelingt ein niedrigschwelliger Einstieg in gamifizierten Unterricht – auch für Lehrkräfte ohne Vorerfahrung?
Andreas Hedrich: Der Einstieg kann ganz einfach gestaltet werden. Es ist möglich, mit dem Spielen zu beginnen, um Themen zu erarbeiten – das lässt sich in jedem Fach umsetzen. Zum Beispiel kann eine Rolle eingenommen werden, aus der dann gehandelt wird. Ebenso ist es möglich, gemeinsam mit den Schülerinnen und Schülern auf deren bisherigen Spielerfahrungen aufzubauen und eigene Abläufe oder Wettkämpfe zu entwickeln. Dabei sollte stets im Vordergrund stehen: Was möchte ich in welcher Phase des Unterrichts erreichen? Es ist hilfreich, Ideen offen mit den Schülerinnen und Schülern zu besprechen und gemeinsam zu überlegen, welcher spielerische Ansatz geeignet sein könnte. Auch das gemeinsame Anschauen passender Games, die ein Thema vertiefen, kann den Einstieg erleichtern.
Gamification kann mehr als nur „Spielerei“ sein: Welche gesellschaftlichen Themen lassen sich Ihrer Meinung nach besonders gut über spielerische Formate vermitteln?
Andreas Hedrich: Im Kontext von Games lässt sich festhalten: Einige Spiele ermöglichen es uns, Perspektiven zu wechseln und in Rollen zu schlüpfen, die uns verdeutlichen, dass es vielleicht noch eine andere Sichtweise auf Dinge gibt. Games laden zudem dazu ein, kooperativ zu handeln, gemeinsam Lösungen zu entwickeln und ein Ziel zu erreichen. Auf die analoge Welt übertragen, können wir viel über Gruppenprozesse im Kleinen und gesellschaftliche Strukturen im Großen lernen. Wichtig ist jedoch vor allem, die Erfahrungen aus dem Spiel zu reflektieren und im Gespräch für andere Prozesse nutzbar zu machen. Alle am Erziehungsprozess Beteiligten tragen die Verantwortung, Reflexionsräume zu eröffnen, zum Nachdenken anzuregen und das Gespräch über Erfahrungen aus dem Alltag zu ermöglichen.
Andreas Hedrich ist Diplom-Soziologe und Medienpädagoge. In seiner Funktion als wissenschaftlicher Mitarbeiter für Lehre an der Fakultät für Erziehungswissenschaft der Universität Hamburg liegt sein Fokus auf Medienbildung und Medienkompetenzförderung. Parallel dazu wirkt er als Referent für Medienpädagogik und digitale Medien im Schulunterricht, der Jugendarbeit sowie Kultur- und Lehrkräftebildung. Er ist u.a. Mitgründer der Initiative Creative Gaming und setzt sich für den kreativen Umgang mit Computerspielen ein. Darüber hinaus ist er Vorstand des Mediennetz Hamburg e.V., Gesellschafter von Frische Medien und Projektleiter bei verschiedenen Medienbildungsprojekten.